Die Volkswerft Stralsund und ihr Schiffbauprogramm 1993 – 1996
Nachdem die Treuhandanstalt (THA) erst Ende 1992 dem Bremer Vulkan Verbund AG (BVV) die Volkswerft GmbH Stralsund (VWS) anbot und den Kaufbedingungen der Bremer zustimmte, gab der Verwaltungsrat der THA am 22. Januar 1993 grünes Licht für die Privatisierung und am 18. Februar 1993 kam es zur Unterzeichnung des Übernahmevertrages. Die BVV AG war zu einem Einstieg bei der Volkswerft nur bereit, wenn sich weitere Gesellschafter beteiligen, und so entstand die Bietergemeinschaft Hanse Schiffs- und Maschinenbau GmbH (49&), Hegemann-Gruppe (30%), Lürssen-Werft Bremen (10%) und Hansestadt Stralsund (11%).
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Schon 1990 gab es erste Schritte des BV-Verbundes, sich in den ostdeutschen Schiffbau einzubringen. Basis war ein Kooperationsvertrag mit der Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG Rostock (DMS) vom 16. August 1990 mit der Zielstellung einer Fusion beider Konzerne bis Ende 1993. Der massive Widerstand westdeutscher Werften und auch die Regierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (MVP) verhinderten diese Bestrebung. Namentlich der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Alfred Gomolka, sprach sich gegen eine komplette Übernahme der fünf großen Ostseewerften durch den Bremer Vulkan (BV) aus, da er längerfristig ein Schrumpfen dieser Werften durch den BV und folglich Arbeitsplatzverlust in MVP befürchtete. Im Tauziehen um den Verkauf der ostdeutschen Werften hielt er in jener Zeit als einziger Politiker, auch gegen den CDU parteiinternen Widerspruch, an dieser Position fest. Im März 1992 erklärte Gomolka seinen Rücktritt.
Das neue Konsortium verpflichtete sich im Kaufvertrag zur Sanierung und Umgestaltung der Volkswerft GmbH Stralsund in eine Kompaktwerft, gab Beschäftigungsgarantie für 2175 Mitarbeiter einschließlich 175 Auszubildende und versicherte, „eine Stilllegung der VWS nicht zu betreiben“. Für die Modernisierung der Werft bis Ende 1996 waren Investitionsmittel in Höhe von 487 Mio DM zugesagt, woran sich die THA mit 380 Mio DM beteiligte, und bis 2005 sollten weitere 150 Mio DM investiert werden.
Schema des Kompaktwerft-Konzeptes
Die Volkswerft wurde Teil des Bereichs Schiffbau in der 1992 gegründeten Holdinggesellschaft des Vulkan Verbundes, wo bereits die Werften in Bremerhaven (Schichau Seebeck und Llyod Werft), die Flender-Werke Lübeck, Neue Jadewerft Wilhelmshaven, die Meerestechnikwerft (MTW) Wismar und die Bremer Vulkan Werften in Vegesack versammelt waren. Die Ausrichtung der neuen Werft sollte den Bau von Fischereifahrzeugen, Fahrgast- und Fährschiffen sowie von Spezialschiffen gewährleisten. Im Konzernkonzept des BVV vom September 1994 war die Volkswerft im Unternehmensbereich Schiffbau dann auch noch als Führungswerft für nicht-frachttragende Schiffe über 29 m festgelegt.
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Am 1. April 1993 übernimmt der Bremer Vulkan die unternehmerische Führung in Stralsund und besetzt die Ebene der sechs Geschäftsführer sowie den Großteil der Hauptabteilungsleiter mit Personen aus den Werften an der Weser. Die Tagesgeschäfte verliefen nicht ganz reibungslos. Die zu Geschäftsführern berufene Führungsmannschaft aus Bremen hatte es auf der Volkswerft mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern zu tun, die allein an dem vorliegenden Auftragsbuch gemessen die Spielregeln der Markwirtschaft in drei Jahren bestens verinnerlicht hatten. Das Vertrauen in die Fähigkeiten der Stralsunder zu zeigen, war zumindest in den Bereichen der Vorbereitung nicht angesagt. Bis Anfang 1993 waren bei der DMS-Tochter Volkswerft drei Geschäftsführungen tätig gewesen und seit Januar 1991 ein Aufsichtsrat bestellt.
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Wer war dieser neue Hauptanteilseigner? 1893 gründeten Bremer Kaufleute in Vegesack an der Weser die Bremer Vulkan AG (BV). Um 1900 hatte sich das Unternehmen zur Hauswerft des Norddeutschen Lloyd (NDL) entwickelt und war inzwischen die zweite Großwerft neben der AG Weser in Bremen. Ab Ende der 1960iger Jahre nahm der BV Fahrt auf und machte sich mit dem Bau von Großtankern und Containerschiffen einen Namen auf dem internationalen Schiffbaumarkt. Das Land Bremen, SPD-regiert und Hauptaktionär, beeinflusste ab den 1980iger Jahren immer stärker die Geschäftsstrategie und nach Schließung der AG Weser am 31.12.1983 (2000 entlassene Werftmitarbeiter) war der BV alleinige Großwerft in Bremen.
Ab 1988 wurde Dr. Friedrich Hennemann neuer Vulkanchef. Der ehemalige Apotheker und Bremer Senatsdirektor für Wirtschaft erwarb sich als Vorstandschef den Ruf eines Visionärs, wollte er doch den BV-Verbund zu einem maritimen Technologiekonzern entwickeln. Bis zu 100 Firmen gehörten zum Verbund mit über 20000 Beschäftigten, als die Volkswerft dazu kam. Hennemanns Idee vom „maritimen Jahrtausend“ beeindruckte und seine Linie der „Beschäftigung um jeden Preis“ stellte niemand in Frage.
Der Bremer Vulkan erwarb mit der Volkswerft GmbH Stralsund auch deren Auftragsbuch, das mit Verträgen aus 1991/92 für zwei Jahre bis Mitte 1995 gut gefüllt war und für Beschäftigung sorgte. Folglich erscheinen in der Auslieferungsstatistik unter der BV-Flagge noch die drei Containerschiffe Typ „CFV Neptun 600M“ (Nb 484-486), drei Passenger-Cargo-Vessel Typ „PCV 917“ (Nb 101-103), drei Bagger Typen „LSB 913“ (Nb 211und 212) und SSB 933“ (Nb 213) und fünfzehn Fang- und Verarbeitungsschiffe Typ „FVS 419“ (Nb 321-335). Dem neuen Management war es leicht gemacht, durch die Vereinnahmung dieser vorliegenden Produktpalette die Geschäfte zu übernehmen. Mit keiner Geste wurde der Mitarbeiterkreis bedacht, der für diese Leistungen in den vorangegangenen Jahren die Grundlagen schuf. Vorübergehend kamen in einigen Ressorts Berater mit fürstlichem Salaire zum Einsatz, um bei der Anwendung von konzerninternen Routinen Assistenz zu leisten.
Luftbild von 1994 mit Hurtigruten-Schiff am Kai
Die sieben Fabriktrawler „Atlantik 488“ (Nb 831-837), die 1991/92 fertig gestellt waren und von der Sowjetunion wegen Zahlungsunfähigkeit nicht abgenommen wurden, verließen bis Mai 1993 die Werft. Akquiriert wurden von der Volkswerft unter dem Schirm des BVV zwölf Containerschiffe „VW 1100/1100.1“, zwei „VW9300“ für China, das Schadstoff-Unfallbekämpfungsschiff (SUBS) „Neuwerk“ und acht Containerschiffe „VW 2500/2500.1“.
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Containerschiffe hatten mit den Jahren erheblich an Größe zugenommen und konnten nicht mehr jeden Hafen anlaufen. Für den Containerumschlag in den vielen kleineren Häfen waren die Feederschiffe ab den 1980iger Jahren das geeignete Transportmittel geworden. Kleine deutsche Reedereien investierten in diesen Sektor und der Bremer Vulkan bediente diese Interessen mit der Entwicklung und dem Bau von 30 Containerschiffen des Typs „BV 1000“ ab 1985. Das Schiff war 148 m lang und hatte Stellplätze für 1022 TEU. Bis 1993 bestellten deutsche Reeder weitere Schiffe dieser Größe vom Typ „B-183“ in Polen. Die Nachfrage nach diesem Containerschiff war 1993 ungebrochen und der BV konnte nun durch die Kapazitätserweiterung mit der Volkswerft seinem Kundenkreis entsprechende Angebote für diesen Typ machen. Für den Lieferzeitraum Mitte 1995 bis Ende 1996 wurden Verträge für zwölf Schiffe des Typs „VW 1100/1100.1“ mit neun Reedern (sechs aus Hamburg, zwei aus Elsfleth und einer aus Leer) gezeichnet. Der „VW 1100“ (Nb 401–403) war ein verbesserter „BV 1000“.
In der Berliner Versuchsanstalt für Wasserbau und Schifffahrt wurden die entsprechenden Modellversuche durchgeführt. Anstelle von sieben Containern quer unter Deck gelang es, bei gleicher Schiffsbreite acht Stück aufzustellen. Die Lagen an Deck wurden auf fünf erhöht. Beides führte zur Vergrößerung der Stellplätze um 82 TEU auf 1104. Stellplätze für 90 TEU zusätzliche Kühlcontainer, eine völlig neue Bordnetzgeneratoren-Anlage zur Energiebereitstellung der 90 TEU und eine größere Hauptmaschine waren die weiteren Modifikationen.
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Die neun Schiffe Nb 404-412 erhielten einen leistungsstärkeren Motor Sulzer 7RTA52U mit 10920 kW MCR und einen Verstellpropeller, womit eine Erhöhung der Geschwindigkeit um 0,6 kn auf 19,1 kn erreicht wurde. Dazu trug allerdings auch eine Optimierung der Schiffslinien durch die Volkswerft bei. Die positiven Effekte wurden mit Modellversuchen in der Schiffbautechnischen Versuchsanstalt Wien im Oktober 1994 ermittelt. Bei der um ca. 10 m verlängerten und etwas breiteren Variante mit einer zusätzlichen 20 ft bay auf dem Vorschiff erhöhte sich die Containerzahl auf 1122 TEU. Die neun Schiffe erhielten die Bezeichnung „VW 1100.1“. Die Forderung nach höherer Geschwindigkeit ging auf den Reeder Hermann Buss aus Leer zurück, der mit MV “Weser Trader“ (Nb 404) und MV „Jade Trader“ (Nb 405) die ersten beiden Schiffe des „VW 1100.1“ Ende 1995 übernahm und unter ihrem Charternamen „CTE ALGECIRAS“ und „OOCL ACCORD“ in Dienst stellte.
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Der Bremer Vulkan pflegte seit Jahren enge Geschäftsbeziehungen mit der chinesischen Schifffahrt. Dies war auch der Ausgangspunkt für den Vertrag zwischen der Volkswerft und Machimport Peking über zwei Heavy Cargo Multipurpose Vessel (HCMV) für die Lieferung Mitte 1997. Es brauchte viele Wochen, bis Verhandlungen der Werft in Peking, Shanghai, Dalian und schließlich am 8. Februar 1996 in Chongqing zu einer Vertragsunterzeichnung führten. Die chinesische Seite änderte mehrfach die Spezifikation und auch die Zuweisungen an eine der potenziellen Reedereien.
Die Basis für dieses Projekt „VW 9300“ bildete der Typ „CFV-600M“ aus dem Jahr 1992. Um kostengünstig zu produzieren, benötigte die Werft Wettbewerbshilfen, die für Standardschiffe nicht mehr gewährt wurden, sondern nur noch für Spezialschiffe. Das Entwurfsbüro der Werft änderte das Design des Basistyps „CFV-600M“, damit die Schiffe in die förderwürdige Kategorie eingeordnet werden konnten. Verstärkung des Doppelbodens für schwere Ladung, hydraulisch betätigte Falt-Lukendeckel anstelle der Pontondeckel für die drei Laderäume und andere Lösungen kamen zur Anwendung. Die Zeichnungsprüfung und Bauaufsicht führte der Germanische Lloyd in Hamburg durch im Auftrag der chinesischen Klassifikationsgesellschaft CCS (Chinese Classification Society). Die Kiellegung des ersten Schiffes fiel fast auf den Tag genau mit der Antragstellung des BV auf Insolvenz zusammen.
Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundesministeriums für Verkehr schrieb 1995 im Auftrag der Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) Nord in Kiel den Bau eines hoch komplexen Schadstoffunfall-Bekämpfungsschiffes (SUBS) aus. Die Volkswerft GmbH Stralsund war erfolgreich mit ihrer Bewerbung um den Auftrag dieses weltweit einmaligen Mehrzweckschiffes. Die Planung und Abwicklung des gesamten Projektes lag in den Händen der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) Hamburg. An das Schiff waren folgende Anforderungen gestellt: Bekämpfung von Öl- und Chemikalienunfällen, Einsammeln von schwimmendem Festmüll bis Containergröße, Feuerlöschung von Schiffen bis 100 m Entfernung, Arbeit als Notschlepper, Aufnahme und medizinische Versorgung von verletzten Personen und Eisbrechen in der Ostsee.
Diese komplexen Aufgaben konnte das Schiff nur erfüllen mit einem Design, das auf innovativen Lösungen beruhte. Schon die Schiffslinien sind als außergewöhnlich zu betrachten. Sie wurden von der WSD in Kooperation mit der Hamburger Schiffbau Versuchsanstalt (HSVA) konzeptionell entwickelt und hatten zum Ziel, beim Brechen von 0,5 m dickem Eis mit 5 kn Geschwindigkeit eine eisfreie Fahrrinne zu hinterlassen respektive das gebrochene Eis zur Seite unter die Eisdecke zu schieben. Die Anordnung eines Doppelskegs sorgte bei Vorwärts- und Rückwärtsfahrt für diesen Räumeffekt. Eine hohe Manövrierfähigkeit und ein Pfahlzug von 110 to waren zu gewährleisten, weshalb zwei 360° drehbare Ruderpropeller und ein Pumpjet im Vorschiff angeordnet sind. Ein dynamisches Positioniersystem ergänzte die Schiffssteuerung zum Halten der Position oder für komplizierte Manöver. Ein Skimmersystem mit 15 m langen Auslegern Bb und Stb soll die Schadstoffe von der Wasseroberfläche aufnehmen.
In allen Phasen der Entstehung des SUBS bestand eine enge Zusammenarbeit zwischen der Werft und dem Auftraggeber, der von den Spezialisten der Bundesanstalt für Wasserbau in Hamburg (BAW) vertreten wurde. Von Beginn an wurden ständig Optimierungen am Design und bei der Bauausführung in gegenseitiger Abstimmung vorgenommen. Eine notwendige Verlängerung des Schiffes um vier Spante noch während der Bauphase wurde von den Schiffbauern nahezu reibungslos umgesetzt. Der Neubau 415 (SUBS) ging am 27. September 1997 als letztes Schiff auf der Werft über das Absenkdock ins Wasser.
Der Bau des Schiffes erfolgte über einen Zeitraum, in dem sich die Volkswerft wieder in schwierigem Fahrwasser befand. Der Umbau zur Kompaktwerft, mehrfacher Wechsel im Management, die Insolvenz des Bremer Vulkan und entsprechend verhaltene Reaktionen von Unterlieferanten waren einige Ereignisse, die mit zu einer verspäteten Ablieferung beitrugen. Die Taufe des Schiffes auf den Namen „Neuwerk“ nahm dann am 9. Juli 1998 die Bundesministerin für Umwelt, Frau Dr. Angela Merkel, vor. Die „Neuwerk“ wird vom Wasser- und Schifffahrtsamt Cuxhaven in der Nordsee eingesetzt. Die Volkswerft GmbH Stralsund war Monate zuvor in die Ostseebeteiligungsgesellschaft Schwerin (OBG) überführt worden.
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Mit der Projektierung und dem Bau des Containerschiffes Typ „VW 2500“ schlug die Volkswerft ein neues Kapitel auf, entwickelte sich doch dieser Schiffstyp bis in das Jahr 2011 mit insgesamt fünfunddreißig Ablieferungen zum meistgebauten Schiff auf der Werft nach 1990. Der weltweite Gütertransport in Containern über See wuchs ab Mitte der 1980iger Jahre um ca. 10% jährlich. Gleichzeitig nahm die Schiffsgröße stark zu bis in den Bereich von 6000 TEU. Kühlcontainer für Kühlgut aller Art wurden in ständig steigender Zahl transportiert, wofür gesonderte Stellplätze an Bord geschaffen werden mussten. Für Schiffe mit einer Kapazität um 2500 TEU bot sich vor diesem Hintergrund eine gute Beschäftigung an, einmal im Feederdienst in Europa oder Asien und andererseits im Linienverkehr von Europa nach Südamerika oder ins Mittelmeer. Es konnten mit dieser Schiffsgröße und seiner Ausrüstung mit Containerkränen dort Häfen bedient werden mit wenig Infrastruktur und beschränkter Fahrwassertiefe.
Dieser wirtschaftliche Aufschwung ließ die Charterraten ständig ansteigen und löste eine rege Bestelltätigkeit deutscher Reeder aus; in Fernost, in Polen aber auch bei deutschen Werften. Immerhin hatte der BVV um 1994 mit dem Slogan geworben: “WORLDs NUMBER ONE - The VULKAN GROUP is the world leader in innovative container ship design“. Die Flender Werft AG Lübeck, Tochter des BV, hatte als Weiterentwicklung ihrer bis 1990 gelieferten Containerschiffe das Projekt eines 2400 TEU Schiffes (VSV 2400) ausgearbeitet, zu dem eine Vielzahl von Absichtserklärungen gezeichnet wurden. An dem Projekt zeigten auch die Reeder Rudolf und Heinrich Schepers, Hermann Buss und Manfred Lauterjung Interesse. Die Reeder legten einen technischen Forderungskatalog vor und in gemeinsamer Abstimmung zwischen Volkswerft, Flender Werft und diesen Reedern wurde im Laufe des Jahres 1995 ein Design eines 2500 TEU Carriers entwickelt.
Der Bau dieses 207 m langen Schiffes auf der Volkswerft war im Konzern gesetzt, da der Umbau zur Kompaktwerft im III. Quartal 1997 abgeschlossen sein sollte und Schiffe dieser neuen Größenordnung zu Wasser gelassen werden konnten. Mit der zur gleichen Zeit im Bau befindlichen Serie „VW 1100“ konnten sich die Reeder Schepers und Buss bereits mit der Leistungsfähigkeit und dem Engagement des Volkswerft-Teams bekannt machen. In Fachkreisen fand überhaupt Anerkennung, wie die Volkswerft während der weitreichenden Umbaumaßnahmen zur Kompaktwerft die Produktion am Laufen hielt. Die Flender Werft war unter Mitwirkung der Volkswerft für das technische Projekt zuständig und übernahm auch die Konstruktion der Hauptbaugruppen nach den technologischen Vorgaben der Volkswerft. Diese Leistungen stellte die Flender Werft der Volkswerft in Rechnung.
Das Projekt führte ab nun die Bezeichnung „VW 2500“. Auf den BV-Werften in Wismar und in Bremerhaven wurden ebenfalls 2500 TEU Schiffe nach dem vergleichbaren Konzept als „MTW 2500“ und „SSW 2500“ gebaut. Die ersten Verträge wurden 1995 für acht Schiffe Nb 416 – 423 gezeichnet mit den Reedern R. und H. Schepers aus Elsfleth, Hermann Buss aus Leer, Oltmann aus Stade und Lauterjung aus Emden. Die Neubauten 422 und 423 bekamen die Bezeichnung „VW 2500.1“, da auf Wunsch der Reederei ein größerer Hauptmotor mit sieben statt sechs Zylindern eingebaut wurde. Als der Bau dieser Schiffsserie mit der Kiellegung des Neubau 416 für die Reederei Schepers GmbH & Co. KG am 16.12.1996 in der noch unfertigen neuen Schiffbauhalle begann, war die Volkswerft GmbH Stralsund bereits vor drei Monaten vom Bremer Vulkan Verbund abgekoppelt worden.
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Die letzte Schiffsablieferung aus den bestehenden Aufträgen lag Mitte 1998 und es waren dringend Anschlussaufträge notwendig. Für die im Unternehmenskonzept des Vulkans für die Volkswerft festgeschriebenen Produktlinien mittlere Fähr- und Passagierschiffe, Gas- und Chemikalientanker sowie Spezial- und Fischereischiffe waren auf dem internationalen Markt nur vereinzelt potenzielle Käufer zu finden und Angebote der Werft mussten am Schiffspreis scheitern. Unter dem Schirm des Vulkans war der Volkswerft Gelegenheit gegeben, auf internationalen Schiffbaumessen ihr Potential zu präsentieren. Von Oslo, Reykjavik/Island, Shanghai und Kopenhagen im Jahr 1993 bis Seattle/USA und St. Petersburg/Rußland in 1995 konnten zwar neue Kontakte geknüpft werden, jedoch ohne greifbare Resultate. Auf den riesigen Messeständen des Bremer Vulkan bei den Messen in China war der Volkswerft auch nur eine Außenseiterrolle zugeordnet.
Erwähnenswert ist auch der Versuch der Volkswerft, 1995 in Syrien ins Geschäft zu kommen. Der Werft ging eine Ausschreibung des syrischen Transportministeriums über zwei RoRo-Schiffe zu, um die sich auch die Peene Werft in Wolgast bemühte. Mehrere Verhandlungen in Damaskus, bei denen sich beide Werften gegenübersaßen und die sich bis Juli 1997 hinzogen, scheiterten für beide am „Feilschen“ um den Preis.
Wie erfolglos die Strategie des Baus von Fährschiffen umgesetzt wurde, zeigt das Beispiel der Anfrage eines britischen Maklers nach einer 120-m-Passagier- und LKW-Fähre für eine chinesische Reederei auf der Insel Hainan im Süden Chinas. Das Skizzenprojekt des Designbüros der Werft sollte die Grundlage für die Verhandlungen im Mai 1994 in Hainan bilden. Vor Ort stellte sich heraus, dass ein Highspeed-Boot gefragt war für die Route Hongkong-Spielerparadies Macao. Statt den Hintergrund der Anfrage professionell zu hinterfragen, schien dem Management der Chinabesuch verlockender.
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Am 30. September 1993 staunten einige Werftleute sicher nicht schlecht, als über die Ostansteuerung ein monströses Gebilde Richtung Werft geschleppt wurde und dort fest machte. Ein Ponton 135 x 35 m mit einem sechs Stockwerke hohen Aufbau stellte sich als russische U-Boot-Reparatur- und Versorgungsstation mit dem Namen „Baikal“ heraus. Die Aktion war von Bremen aus veranlasst worden und es war der Plan, den Stahlkoloss in ein schwimmendes Hotel oder ähnliches umzubauen. Auf einer Werft in St. Petersburg war der Bau dieser Militärbarge abgebrochen worden und so kam sie dann im Schlepp nach Stralsund. Die Volkswerft sollte den Stahlbau und die rohrbaulichen Arbeiten ausführen und die Lloydwerft in Bremerhaven den Innenausbau. Auftraggeber war angeblich ein ausländisches Konsortium mit russischer Beteiligung. Es wurden von der Volkswerft aber keine der angedachten Stahlarbeiten begonnen. Nach etwa 1 ½ Jahren Liegezeit auf der Werft wurde das antriebslose Ungetüm nach Bremerhaven verschleppt.
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Die Umgestaltung des traditionellen Schiffbaustandortes Stralsund in ein zukunftsträchtiges Unternehmen zur Bewältigung des anvisierten Produktionsprofils mit Schiffen über 200 m Länge war zweifellos eine richtige Zielstellung der Bremer Vulkan Verbund AG, deren Aufsichtsrat im Januar 1994 die Mittel für die Investitionen bewilligte. Man darf es als Novum betrachten, dass der tiefgreifende Umbau der Produktionsanlagen bei laufender Fertigung und termingerechte Ablieferung der Schiffe durchgeführt wurde. Die Containerschiffe „VW 1100.1“ bis Nb 412 und die beiden HCMP-vessel Nb 413 und 414 gingen bis März 1997 als letzte über das Stapellaufdock zu Wasser. FVS 419, Nb 335 „Mys Kurbatova“, war am 13. Februar 1995 das letzte Schiff, welches mit der alten hydraulischen Absenkanlage abgesenkt wurde. Nach über 30 Jahren Einsatz musste diese Anlage Platz machen und wurde demontiert.
Die wesentlichsten Grundsätze des Konzeptes „Kompaktwerft“ waren eine durchgängig wettergeschützte Fertigung, kurzer direkter Materialfluss, Verarbeitung von 16 x 3,2 m Schiffbauplatten und hoher Automatisierungsgrad der Vorfertigung. Computergestützte Steuerung der Produktion, Einrichtung von Fertigungsleitständen, moderne Schweißverfahren zum Trennen und Fügen sowie verbesserte umweltfreundliche Konservierungstechnologie bildeten das Rückgrat des neuen Fertigungsprozesses. Die Umgestaltung der Bereiche Vorfertigung und Sektionsbau erfolgten im ersten Bauvorhaben (1994-95) und die Schiffskörpermontage und Ausrüstung in einem zweiten (1995-97). Die Grundsteinlegung zum Investitionsvorhaben legte am 2. Juni 1994 die Bundesministerin für Frauen und Jugend, Frau Dr. Angela Merkel. Ein Jahr später ging die erste Ausbaustufe in Betrieb.
Schwerpunkte des zweiten Bauvorhabens stellten der Volumenbau, die Schiffskörpermontage, das Verschiebesystem und ein Schiffslift zum Absenken der Schiffe dar. Dies waren die nach außen sichtbarsten Veränderungen des Werftareals. Die Halle konnte nach ihrer Fertigstellung schon von weit außerhalb Stralsunds erblickt werden. Die Anlagen wurden für Schiffsgrößen bis 230 m Länge und 32,2 m Breite (sog. Panamax-Breite) konzipiert und der Lift für eine nominelle Tragfähigkeit von 21700 to. Die niederländische Firma Hydraudyne Systems & Engineering B. V., Tochter von Mannesmann Rexroth, trat als Lieferant dieser Hightech-Konstruktion auf, die aus zwei Plattformen besteht (79 m und 151 m lang). Im September 1995 wurde mit dem Rammen der ersten Pfähle begonnen, was Erinnerungen an den Werftbeginn vor 49 Jahren hervorruft.
Die neue riesige Schiffbauhalle mit ihren Abmessungen von 300 x 108 x 78 m (L x B x H) und dem 800 t Bockkran konnte im Rohbau ab Mitte 1996 nicht mehr übersehen werden. Ein 750 m langer Ausrüstungskai war ebenfalls Teil der Baumaßnahmen. Der 16. Dezember 1996 war ein besonderer Tag, da in der fast fertigen neuen Halle 290 die Kiellegung des ersten „VW 2500“, Neubau 416, für den Reeder Rudolf Schepers stattfand. Sie erfolgte aber unter der Obhut eines neuen Werfteigentümers, da der Bremer Vulkan für die Stralsunder Werft bereits seit drei Monaten Geschichte war.
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Am 15. August 1997 endete die Geschichte des Bremer Vulkan mit der Schließung der Vulkan-Werft in Bremen, wo 2000 Beschäftigte ihren Job verloren. In diesen Strudel des Vulkan Desasters geriet die Volkswerft GmbH Stralsund allerdings schon 1994/95. Es war letztendlich „eine Geschichte von Größenwahn und Machtbesessenheit“, wie der Weser Kurier vom 15. August 2017 in seiner Rückschau zur Vulkan-Pleite formulierte. Die Hoffnung bei der Belegschaft und bei der Landespolitik auf Konsolidierung der Volkswerft fand nach nicht einmal drei Jahren eine abrupte Unterbrechung. Im III. Quartal 1995 kursierten Meldungen über Liquiditätsprobleme des BV - ein Jahr nach Verabschiedung des zukunftsweisenden Konzern- und Finanzkonzeptes. Vorwürfe werden laut, dass 850 Mio DM EU-Fördermittel für die Werften in Mecklenburg-Vorpommern zweckentfremdet in andere BV-Töchter umgeleitet wären.
Mit diesem 1992 eingerichteten konzerninternen Cash-Management-System wurden so ständig staatliche Investitionsbeihilfen für die Ostwerften in dreister Weise verschoben. Dagegen waren das Ansinnen der Abschaffung des Volkswerftlogos mit der stilisierten Kogge, die Liquidierung des Traditionskabinetts und der Fachbibliothek nahezu Kleinigkeiten, gewiss aber nur aus Sicht des Bremer Führungsstabes. Allein die Vernichtung des großen Bestandes wertvoller Fachbücher des Fischereischiffsektors und wissenschaftlicher Arbeiten zum Schiffbau oder die Auslagerung von erhaltenswerten Printerzeugnissen grenzten an Bilderstürmerei. Die Einstellung der Betriebszeitung „Unsere Werft“ am 28. April 1995 ist auch nur ein kleines, aber zur Werftgeschichte gehörendes Ereignis. Die Einnahme von nur 5 Pfennig/Stück war Grund genug, das Blatt aus Kostengründen im 47. Jahr des Erscheinens einzustellen und schon konnte man, wie es im Abschiedswort der letzten Ausgabe hieß: “wieder ein Stück Tradition wegbröckeln sehen“.
Ende 1995 trat der Vorstandschef Hennemann auf Druck der Banken wegen Liquiditätsproblemen zurück. Wie Analysten festhielten, lagen die Ursachen für das plötzliche Kollabieren des Bremer Vulkan im Kontrollversagen der Aufsichtsräte und Fehlleistungen des Managements und auch in Schiffspreisen, die nicht einmal die Selbstkosten deckten. Ein später eingesetzter Untersuchungsausschuss stellte aber auch klar, dass Wirtschaftsprüfer, BvS und Politik mitverantwortlich waren für den Absturz. Hennemanns Nachfolger Wagner stellte am 21. Februar 1996 einen Vergleichsantrag, den die Gläubiger jedoch ablehnten. Im Mai des Jahres folgte der Konkurs der Konzernzentrale.
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Nachdem sich im Herbst 1995 die Meldungen über eine vermutliche Schieflage der Bremer Vulkan AG verdichteten, war es mit der Ruhe auf der Volkswerft in Stralsund vorbei, denn es drohte schon wieder eine Standortgefährdung. Der Bau und eine termingerechte Ablieferung der Schiffe standen auf dem Spiel, da Unterlieferanten begannen, Material zurückzuhalten oder Vorauszahlungen zu verlangen. Baufirmen stellten ihre Arbeit ein am Werftumbau (von der neuen Schiffbauhalle war zum Zeitpunkt noch nichts zu erkennen). Zur Konkursvermeidung der Ostwerften bot sich nur der Weg der Abkopplung vom Mutterkonzern an. Weitere Zielvorgaben lagen nicht auf dem Tisch, da unter den zwischenzeitlichen Treuhändern, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) und dem Land Mecklenburg-Vorpommern, als auch in der Schweriner Regierung selbst Differenzen bestanden.
Wie schon 1992/93 wurden wieder lange die Standpunkte diskutiert, erst Privatisieren oder erst Sanieren. Ein erneuter Privatisierungsversuch durfte nicht scheitern. Organisiert vom Betriebsrat griff die Belegschaft zu spektakulären Aktionen wie die Sperrung der Zufahrt zur Insel Rügen mit Stahlkonstruktionen am 27. März 1996, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen und die Politik zu Entscheidung zu bewegen. Die vollzogene Abkopplung war aber noch keine endgültige Lösung. Im Vergleich zur MTW Wismar wurde die Lage der Volkswerft in Fachkreisen als prekär eingeschätzt. Die Investitionen für einen reibungslosen Produktionsprozess waren noch nicht realisiert und dem Management wurden Führungsschwächen nachgesagt. Der Geschäftsbereich S-Schiffbautechnik (Produktion, Arbeitsvorbereitung, Konstruktion, Reparaturen) wurde im April 1996 sogar noch in die zwei Geschäftsbereiche P-Produktion und S-Schiffbautechnik (nur noch Konstruktion und Arbeitsvorbereitung) aufgestockt und der Bereich P neu besetzt.
Zufahrt zur Insel Rügen
Auf der Volkswerft standen zu dem Zeitpunkt das Stahlskelett der Halle 290 und der Bockkran. Die Containerschiffe VW 1100.1, Nb 409 „Titan“ und Nb 410 „Caravelle“, waren zum Absenken über das Stapellaufdock vorbereitet. Nach dem Vertragswerk vom Juni 1996 zwischen BvS und Land endete am 3. September des Jahres die Ära des Bremer Vulkan für die Volkswerft GmbH Stralsund. Die alte Geschäftsführung, außer dem Ressort Finanzen, hatte bis Mitte August bereits ihre Büros geräumt als ab 15. August 1996 ein neues Management die Leitung der Werft übernahm.
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Mit der Pleite des Bremer Vulkan Verbundes (BVV) war die erste Privatisierung der Volkswerft Stralsund schon nach kurzer Zeit gescheitert und die Hoffnungen der Belegschaft auf die versprochenen Zukunftspläne mussten vorerst wieder begraben werden. Dabei befand sich die Werft doch spürbar in einem Aufwärtstrend. Das Bauprogramm umfasste drei kleine Containerschiffe, drei Passagierschiffe, fünfzehn Fischereischiffe, drei Bagger, einen Vertrag über zwölf Containerschiffe und über ein Spezialschiff SUBS. Die Stralsunder Schiffbauer waren stolz auf dieses Auftragsvolumen und fanden bei neuen Kunden höchstes Lob über ihre Qualitätsarbeit. Das vom BVV gestartete Kompaktwerftkonzept hatte bis dato Konturen angenommen und ließ erheblichen Produktivitätszuwachs erwarten.
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Historisch betrachtet war die Volkswerft aber in den unterschiedlichen Interessenlagen von Treuhand, Bund- und Landesregierung und BVV eingeschnürt. Der Schiffbau der 1990iger Jahre war weltweit geprägt von wachsenden Überkapazitäten, erdrückender subventionierter Konkurrenz aus Asien und reduzierten Schiffbau-Kapazitäten in Europa durch Brüssel. Mit Modernisierung in den eigenen Werften war in jüngster Vergangenheit eine Produktivitätssteigerung auch im BVV erreicht worden. Der Zuerwerb der weiteren Schiffbaustandorte Stralsund, Wismar und DMR Rostock hätte somit als kontraproduktiv wahrgenommen werden müssen.
In Mecklenburg-Vorpommern waren ca. 40% der industriellen Arbeitsplätze im Schiffbau anzutreffen, folglich befand sich der Erhalt von Arbeitsplätzen im Fokus von Land und Gewerkschaft. Der BvS wiederum lag an einer schnellstmöglichen Privatisierung. So konnte der Anreiz des BVV für den Werftenkauf in erster Linie ein kostengünstiger Erwerb an Produktionsanlagen gewesen sein inklusive der 1,2 Milliarden DM Beihilfen, mit denen Treuhand die Ostunternehmen vorher ausgestattet hatte. Diese Gelder flossen in das zentrale Cash Management des BVV und wurden somit zweckentfremdet für andere Unternehmen eingesetzt. In späteren Berichten zum Konkurs des BVV wurde auch noch argumentiert, dass mit dem Kauf der MTW Wismar und der Volkswerft Stralsund die Befürchtung in Bremen ausgeräumt werden sollte, eine neue Konkurrenz durch die Werften an der Ostseeküste könnte entstehen, falls Bund und Land doch noch einen staatlichen Werftenverbund etablieren sollten.
Für die Mannschaft der Volkswerft war bei der Übernahme trotz des zu erwartenden weiteren Personalabbaus das Fortbestehen ihrer Volkswerft das Entscheidende. Politik und Gewerkschaft schauten beruhigt in die Zukunft; nur mit welch profitablem Erfolg und geringen Verpflichtungen der BVV agierte und die Volkswerft wieder in Existenznöte manövrierte, gehört heute der Vergangenheit an.