Eine Schiffsicherheitsrolle gibt Fragen auf
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Im August 2024 wurde unserem Verein das Original einer Schiffs- und Sicherheitsrolle für eine Probefahrt eines Schiffes der Volkswerft übergeben. Leider sind weder ein Schiffsname noch ein Datum eingetragen; nur die namentliche Aufstellung der Probefahrtsbesatzung mit Bleistift-Handschrift.
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Dass es trotz dieser fehlenden Angaben als Original betrachtet werden kann, ergibt sich aus dem Hinweis des Spenders Werner Nickel, wonach dieses Dokument seinem Zweck entsprechend an Bord eines Schiffes war. Leider kann er sich nicht mehr genau erinnern, wann diese Probefahrt stattfand. Nach seiner vagen Erinnerung könnte diese zwischen 1988 und 1990 stattgefunden haben. Er kommt zu dieser Vermutung, weil der in der Liste geführte Kapitän Petersen in diesen Jahren als Werftkapitän tätig war. Diese Tatsache wurde uns auch von anderer Seite bestätigt. Da wir aber keinen vollständigen Überblick haben zur zeitlichen Besetzung der Stelle des Werftkapitäns, lässt sich die Zuordnung der Sicherheitsrolle für uns so auch nicht genauer eingrenzen.
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Einer unsere Unterstützer, Dietmar Simon, hat versucht, dies ebenfalls zu verifizieren. Wie so häufig im Leben – es gibt keine einfache oder schnelle Lösung. Seine Überlegung ist, dass es sich um ein Schiff aus der Serie Fabriktrawler Atlantik 488, alle abgeliefert zwischen 1986 und 1993, handeln muss.
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Die ca. 110 Personen lt. Rolle (46 Mann Besatzung und 63 Personen Erprobungspersonal) passen zu der Schiffsgröße des Fabriktrawlers mit seinen 120 Kojen. Ein Atlantik-Supertrawler mit passendem Platzangebot bzw. seinen 90 Kojen trifft nicht zu, da der letzte bereits 1983 abgeliefert wurde. Auch für ein Schiff aus den GTS/GT-Serien mit nomineller Besatzungsstärke von 40 Mann ist die Personenzahl 110 nach der Sicherheitsrolle viel zu groß. Sein zweites Argument ist, dass zwar auf dem ersten GTS NB 601 für die Probefahrt Ende 1981, um die vielen notwendigen Leute mitnehmen zu können, der Laderaum mit Kojen ausgerüstet wurde. In dieser Variante würde die Personenzahl aber auch nicht passen, der Zeitpunkt liegt viel zu weit zurück und ob einige Namen der Schiffsführung überhaupt mit diesem Zeitraum korrespondieren, ist dem Vergessen geschuldet.
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Ein Schiff aus dem neuen Bauprogramm nach 1990/91 scheidet aus. Hauptargumente sind hierbei die große Probefahrtsbesatzung, die auf keinem der neuen Schiffstypen mehr erforderlich war, und die gestrafften Erprobungsprogramme der Werft.
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Somit ist dieses Dokument in den Zeitraum zwischen 1986 und 1993 einordnen. Mit Sicherheit war es ein Fischereischiff, das mit seinen umfangreichen Anlagen und Ausrüstungen diese große Zahl an Personal für die komplexen Erprobungen solch eines Spezialschiffes erforderlich machte. Weitere Indizien für ein Fischereischiff für die Sowjetunion sind der Dolmetscher an Bord und die Fußnote, dass den Mitgliedern der SAI (Sowjetische Abnahmeinspektion) die Rettungsflöße zugewiesen sind. Die Sowjets sind zwar weder namentlich noch zahlenmäßig aufgeführt, aber auf allen Fischereischiff-Serien nahm immer ein größerer Stab an Inspektoren der sowjetischen Bauaufsicht an den Probefahrten teil, zumindest für jedes schiffstechnische Fachgebiet ein Vertreter. Setzen wir einfach 10 SAI-Mitglieder an, kommen wir auf insgesamt 120 Personen an Bord. Damit lässt sich die Rolle eindeutig einem Fabriktrawler Atlantik 488 zuordnen.
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Aber ungeachtet dessen, dass wir nicht genau bestimmen konnten, wann diese Probefahrt mit welchem Schiff der Serie stattgefunden hat, sind wir schon der Ansicht, dass es sich bei der Schiffs- und Sicherheitsrolle einer Probefahrtmannschaft um ein sehr interessantes und sicherlich sehr seltenes Zeitdokument aus der Arbeit der Stralsunder Schiffbauer handelt. Wir würden uns natürlich sehr freuen, wenn ein Webseitenbesucher uns hier weitere zweckdienliche Hinweise geben kann.
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Ein Beitrag von Norbert Kinzel (August 2024)