Die Geschichte eines symbolträchtigen Fotos
Der VEB Volkswerft Stralsund als „Schiffseigner“ und sein Neubau 261 vom Typ Fang- und Gefrierschiff „Atlantik-II“ unter der Tower Bridge in London 1969
Dietmar Simon, 10.05.2024
In der SEEWIRTSCHAFT, dem Fachorgan für DDR-Schiffbau, Schiffahrt, Hafen und Hochseefischerei, Heft Nr. 9 von 1969, erschien ein Artikel mit einer Rückschau auf die Weltfischerei-Ausstellung „World Fishing Exhibition“ 1969, die vom 28. Mai bis 3. Juni in London stattfand. Der DDR-Schiffbau war mit einer Kollektivausstellung vertreten unter Führung der VVB Schiffbau Rostock sowie Schiffscommerz Rostock und Kernstück der Exponate war das Fang- und Gefrierschiff „Atlantik-II“ der Volkswerft Stralsund.
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Nach Beendigung der Ausstellung verließ das Schiff London Themse
abwärts und passierte dabei die Tower Bridge. Dieser Moment ist nach heutigem Kenntnisstand mit zwei Aufnahmen dokumentiert und veröffentlicht.
Das erste Motiv (A) zeigt den Atlantik direkt unter der geöffneten Brücke und bei dem anderen Motiv (B) hat das Schiff die Brücke bereits passiert. Die zwei Fotos wurden also in zeitlicher „Reihenfolge“ geschossen, wie sonst; wurden jedoch in diversen Veröffentlichungen unterschiedlich verwendet.
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Szenerie A: Schiff unter der Brücke
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Innenseite des Heftes 7/1970 mit Erklärung zum Titelbild, zum Fotografen sind keine Angaben gemacht, auch nicht im Impressum
Titelbild mit der Aufnahme vom Juni 1969
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Foto aus: Volkswerft Stralsund 1948 -1998 von D. Strobel / W. Ortlieb, Koehlers Verlagsgesellschaft mbH
Hamburg 1998, Seite 68, Fotograf kann im Bildnachweis/Impressum nicht erkannt werden
identisches Foto, nur ohne Text, aus: Schiffbau zwischen Elbe und Oder von D. Strobel / G. Dame, Koehlers Verlagsgesellschaft mbH Hamburg 1993, Seite 102 unten; keine Zuordnung erkennbar
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Szenerie B: Schiff hat die Brücke passiert
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Foto aus: SEEWIRTSCHAFT Nr. 9/1969, Seite 674, zum Artikel „Rückblick auf die World Fishing Exhibition“; weder in Bildunterschrift noch Impressum sind Angaben zum Fotografen gemacht
Identisches Foto aus: Jahrbuch der Schiffahrt 1971, Transpress VEB Verlag für Verkehrswesen Berlin, Seite 118; eingebunden in den Beitrag von Ing. D. Strobel „Schiffe aus der DDR“; Im seitenbezogenen Bildnachweis dieses Jahrbuchs ist dieses Bild Seite 118 nicht mit aufgeführt, siehe unten
Identische Fotos, Quelle unbekannt
Der Fotograf der zwei „Schappschüsse“ ist trotz der Vielzahl an Veröffentlichungen derzeit nicht nachweislich bekannt. Aus den seinerzeit für die Volkswerft oder den DDR-Schiffbau tätigen Fotografen dürfte sich der Kreis schon wegen der rigorosen Reisebeschränkungen für DDR-Bürger in das sogenannte NSW (nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet) stark reduzieren. Wenn ein Fotograf aus der DDR an Bord mitgereist sein sollte, ist es bemerkenswert, dass jener nach dem Auslaufen des Schiffes in London an Land zurückblieb, um zu fotografieren.
Die Aufnahmen könnten auch vom Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst/Zentralbild (ADN/ZB) der DDR stammen, aber auch von der britischen Presse. Beim Besuch des britischen Ministers für Technologie, Mr. Benn, auf dem Stand des DDR-Schiffbaus waren jene Pressevertreter mit zugegen, z. B. vom Journal „World Fishing“. Deren großes Interesse an den Schiffen kann durchaus zu den Fotos des Atlantiks unter der Tower Bridge geführt haben, die dann dem DDR-Schiffbau in Rostock nachgereicht wurden.
Der Stralsunder Fotograf H. Hardenberg bemerkte im Gespräch mit dem Vorsitzenden des „Förderkreis Industriegeschichte Volkswerft“ e.V., N. Kinzel, Mitte Mai 2024 unverbindlich, dass Georg Zimmer aus Leipzig die Aufnahmen mit der Tower Bridge gemacht haben dürfte. Weitere Recherchen in DDR-Archiven können noch mehr Transparenz bringen über diese spektakulären Bilder.
Zum Schiff selbst
Neubau 261 verlässt die Volkswerft Richtung London unter DDR-Flagge, mit VWS-Logo als gelbe Schornsteinmarke und dem Schiffsnamen „ATLANTIK“ in lateinischen Lettern
(Foto: G. Zimmer, Leipzig, Mai 1969)
Plakat an der Bordwand des Schiffes auf der Messe und auf den Fotos unter Tower Bridge. Das Bild ist der Versuch einer Reproduktion des Autors. Es waren technische Daten des Schiffes und DDR-Schiffbau-Infos angezeigt.
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​Messeschiff NB 261 als „ATLANTIK“ (britische Flagge des Gastgeberlandes am Signalmast gesetzt)
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NB 261 als „ZOLOTOY KOLOS“ nach Rückkehr zur Volkswerft und am 18.06.1969 mit der Fischereikennung ФВ–7161 an die sowjetische Fischerei, Basis in Sewastopol (Schwarzes Meer), abgeliefert
Schiffszeichnungen: Dietmar Simon
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Der Neubau 261 ist ein Fang- und Gefrierschiff aus der Serie „Atlantik“, die von 1966 – 1972 in einer Stückzahl von 147 Schiffen auf der Volkswerft Stralsund gebaut wurden (122 x UdSSR, 12 x Bulgarien, 8 x Rumänien, 5 x Kuba). Es ist das 61. Schiff der Serie, die ab Neubau 251 technisch weiterentwickelt und als „Atlantik-II“ weitergeführt wurde. 1972 folgten noch je sieben Forschungsschiffe und je sieben Schulschiffe als Modifikationen dieses Schiffstyps.
Lebenslauf von NB 261:
Nach dem Zerfall der Sowjetunion kam das Schiff in Sewastopol unter ukrainische Flagge und war vermutlich bis Ende 1996 im Einsatz. Ab Mai 1997 erfolgte in Aliaga/Türkei die Verschrottung.