In 188 Tagen um die halbe Welt – mit „Moonzund“ im Südpazifik
Dietmar Simon
Hinter dem Häuschen (Pass- und Zollkontrolle) auf der Anlegebrücke in der Mitte des Saßnitzer Fischereihafens, also nach dem Passieren der DDR-Grenze, sollte eigentlich am Nachmittag des 21. Juli 1986 mein größtes Abenteuer beginnen. Seit Vormittag ankerte auf Reede Saßnitz der Fabriktrawler Atlantik 488 „Moonzund“ der estnischen Fischereibasis „Estrybprom“. Er sollte hier auf der Ausreise zum Fangplatz uns drei Ingenieure des VEB Volkswerft Stralsund und einen vom VEB Maschinenbau Halberstadt zur Teilnahme an der ersten Fangreise an Bord nehmen. „Moonzund“ war am 30. Juni 1986 auf der Werft in Stralsund mit feierlichem Flaggenwechsel als Typschiff einer neuen Serie von 120 m Fischereischiffen an den Eigner übergeben worden und nahm erst einmal Kurs auf den Heimathafen Tallinn. Dort erfolgte das Seeklarmachen und Stauung der Fischereiausrüstung für die sechsmonatige Fangreise im Südost-Pazifik vor der Küste von Chile. Unsere Aufgabe war es, praktische Einsatzerfahrungen dieses „Nullschiffes“ und seiner Anlagen zu studieren und auszuwerten sowie Erkenntnisse für Optimierungen beim Bau der Serienschiffe zu gewinnen. Mir oblag als Teamleiter außerdem die Bestätigung von Beanstandungen der Schiffsführung mit Reklamationscharakter.
Nun, „mein Abenteuer“ begann genau einen Tag später und erst nach Überwindung undurchsichtiger Ausreisebedingungen. Tags zuvor verluden wir vier im Fischereihafen planmäßig um 16:00 unser Reisegepäck und Ersatzteile auf den Schlepper „Dr. Friedrich Wolf“ und setzten zur obengenannten Anlegebrücke über zum Ausklarieren. Meine beiden Werftkollegen Jörg P. und Ulrich W. und ich wurden nach Vorlegen unserer Reisepässe anstandslos abgefertigt, unserem Halberstädter Kollegen Norbert D. mit seinem Seefahrtsbuch wurde jedoch die Ausreise verweigert. Den Grenzer zu einer Erklärung oder zu einem Telefonat mit seiner vorgesetzten Dienststelle zu bewegen, war schier unmöglich. Dem Kapitän wurde die Wartezeit wohl zu lange, es gab ja auch noch keinen Mobilfunk, und er schickte das Arbeitsboot rüber. Ich stimmte zu, dass Jörg und Uli sowie unser gesamtes Reisegepäck damit an Bord gebracht wurden. Über UKW-Sprechfunk vom Schlepper als auch über den Dispatcher von Saßnitz-Port gelang es nur mit Mühe, zumal wegen der Sprachbarriere, den Kapitän zu überzeugen, noch bis zum anderen Tag vor Ort zu bleiben.
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Nach Stunden auf dem Steg teilte uns der Grenzer mit, dass im Seefahrtsbuch keine Musterung eingetragen sei und diese vielleicht in Bergen/Rügen oder in Rostock erfolgen könnte.
Der Artikel entstammt dem Magazin "Hochseefischer" und erscheint mit freundlicher Genehmigung des Arbeitskreis Hochseefischerei Rostock e.V.

Spät abends setzten wir zwei uns nach Stralsund ab, um am anderen Morgen von der Werft aus zielstrebiger agieren zu können. Von der Volkspolizei Rostock bekam ich dann die Auskunft, die fehlende Musterung hätte doch das Seefahrtsamt (SFA) in Saßnitz eintragen können, kann aber auch in Stralsund erfolgen. Also nichts wie in den Stralsunder Hafen zum SFA und das war`s. Norbert war als „Motorist auf MS MOONZUND“ gemustert. Per Taxi düsten wir dann wieder nach Saßnitz. Mit „Dr. Friedrich Wolf“ sind wir zum Kontrollpunkt gefahren, wurden dort quasi „durchgewunken“ und legten gegen 11:30 an der herunter gelassenen Gangway von „Moonzund“ an. An Deck nahm uns der I. NO in Empfang und führte uns beide ins Hospital im Vorschiff, was zukünftig unser Domizil war. Nach nur kurzer Zeit stellte ich fest, dass es fast ein Privileg war mit dieser Unterkunft, hatten wir doch ein eigenes Bad mit WC und viel Platz. Die ersten ungestörten Minuten bis zum Mittag und Treffen mit der Schiffsführung ließen die Aufregungen der letzten 24 Stunden an mir heruntergleiten. Das Schiff hatte inzwischen Fahrt aufgenommen und es gab kein Zurück mehr. So langsam kroch jetzt das Gefühl hoch, dass etwa 180 Tage und eine Reise um die halbe Welt vor mir liegen, also keine Reise in 80 Tagen um die ganze Welt wie die von Phileas Fogg nach Jules Verne. Um es gleich vorwegzunehmen – es waren Tage ausschließlich auf den Weiten der Ozeane und unter dem Kreuz des Südens.

Hier erstmal ein kurzes Porträt unserer schwimmenden Halbjahrespension. An „Moonzund“ mit seinen Dimensionen (Lüa=120.7 m, B=19 m, 3935 m³ Laderaum gesamt, 3370 tdw, 120 crew) und seinen Leistungsparametern (zwei Hauptmotore je 2650 kW, Trossenzug 294 kN, 1500 m Tiefe bei pelagischer Fischerei, Produktion von 60 t Frostfisch und 26000 Dosen Konserven pro Tag) konnte in vielerlei Hinsicht das Prädikat „größtes Fischereischiff der Welt“ vergeben werden. Die Arbeiten an diesem Projekt begannen bereits 1980. In der Betriebszeitung „Unsere Werft“ vom 28.05.1982 war ein Bericht über eine Projektbesprechung in meiner damaligen Abteilung EFS (Projektierung Schiffbau) abgedruckt. Vermutlich konnte die Werftbelegschaft damit das erste Mal etwas von einem neuen Schiffstyp Fabriktrawler lesen. Es wurde berichtet, dass das Technische Projekt des ATLANTIK 488 termin- und qualitätsgerecht erarbeitet war und an den Auftraggeber im Februar 1982 übergeben wurde.
Bis zum Baubeginn am 20.02.1984 und Probefahrt im Februar 1986 waren aber noch langwierige Verhandlungen mit den verschiedenen Gremien des sowjetischen Auftraggebers zu absolvieren. Die endgültige technische Abnahme des Schiffes erfolgte mit der 20-tägigen Fischereierprobung im Nordmeer im April 1986. Die Tests der neuartigen und leistungsstarken Fischereitechnik hatte die Werft einer erfahrenen Crew vom Fischkombinat Rostock mit Kapitän D. Meißner übertragen, da die Werft kein diesbezügliches Personal vorhielt.
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Nach dem Mittagessen in der O-Messe, wir erhielten dort für die gesamte Reise unseren Stammtisch, war ich mit Norbert beim Kapitän mit seiner Führungsriege zum Vorstellungsgespräch und Klärung der notwendigen Regeln unserer Arbeit an Bord. Wir waren uns schnell einig über die täglichen Routinen, also mindestens ein Kontrollgang morgens und sofortiges Handeln bei Schadensfällen oder ähnlichem. Genauso schnell bildeten sich dafür automatisch vier Arbeits-gruppen entsprechend unseres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs, d. h. Norbert und der zweite Mechaniker für den Komplex Haupt- und Hilfsantriebe, Jörg und der I. Elektriker für die E-Anlage, Automatisierung und Funk, Uli und der Produktionsleiter für die gesamte Fischbe- und -verarbeitung. Dem Schiff in seiner Gesamtheit, seinem See- und Schwingungsverhalten, der Fischereitechnik und Decksausrüstung galt meine Aufmerksamkeit in Partnerschaft mit Kapitän, I. NO, Trawlmeister und Chief. Die Aufnahme von Betriebsdaten der Anlagen und die Bewertung der Produktionsprozesse vom Netzaussetzen bis zum Stauen der Frostware, Fischmehl und Konserven nach vorbereiteten Programmen regelte sich nach den jeweils anliegenden Betriebsbedingungen des Schiffes.
Wir hatten mittlerweile den Öresund erreicht und passierten gegen 19:00 Kopenhagen. Die kleine Meerjungfrau war jedoch nicht zu identifizieren. Die folgenden Tage vergingen wie im Flug. Erstens regelte sich der Tagesablauf bei normalem Seebetrieb nach den vier Mahlzeiten alle vier Stunden. Zweitens beschäftigten uns unmerklich die neue Aufgabe und das Erfassen vieler Kleinigkeiten, und wenn es ein zersprungenes Glas eines Maschinenmanometers war. Nicht einmal die Seekrankheit suchte uns heim, wie sollte sie auch. Streckenweise mit Höchstgeschwindigkeit von 15 kn und bei See nicht mehr als Stärke 3 machten wir gute Fahrt.
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Nach zwei Tagen erreichten wir die Straße von Dover, querten bei schönstem Wetter die Biskaya und steuerten mit Kurs 220° Richtung Äquator. Die Benutzung des Panamakanals, ebenso wie des Nord-Ostsee-Kanals, schied zur Einsparung von Valuta aus. Der Mehrverbrauch an Dieselkraftstoff aus dem eigenen Land war für die Route um Kap Hoorn wohl kostengünstiger. Schon jetzt wurde die Konservenanlage für einen Probebetrieb angefahren. Dazu waren in Tallinn 270 to Kalmar und Makrele im Tiefkühlladeraum gestaut, die jetzt mit Atlantikwasser in den Fischbunkern aufgetaut und der Fischbearbeitung zugeführt wurden. Mit der Besatzung beseitigten wir dabei einige Mängel an der Autoklavenanlage, die somit auf dem Fangplatz voll einsatzfähig war.
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Nach sieben Tagen kam es zum ersten Härtetest. Am 29.07.86 gegen 22:00 und etwa 300 sm westlich der Kanaren trommelte der Mechaniker mich und Norbert aus der Koje: die Hauptmaschine 2 stand still und im Maschinenraum hatten sich größere Mengen Dieselkraftstoff (DK) angesammelt. Die Verschraubung der Einspritzpumpe für Zylinder 5 hatte sich gelöst. Bevor die Maschinenüberwachungsanlage den Motor abregelte, trat noch jede Menge DK aus. In einer Nachtschicht haben der II. Mechaniker, ein Motorist, Norbert und ich die über 100 kg schwere Pumpe gewechselt und am Vormittag wurde die Fahrt mit maximaler Geschwindigkeit wieder fortgesetzt.
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​Bei weiterhin gutem Wetter überquerten wir am 4. August 1986 den Äquator. Die Vorfreude der bereits Äquatorgetauften auf die Rituale mit den Täuflingen war Tage zuvor schon zu spüren. Auch wir wurden nicht verschont, aber solch drastische „Reinigungen“ und Getränke wie aus Abenteuerromanen bekannt, hatte Neptun keinem Täufling verordnet. Es war eine Abwechslung im Seealltag und für alle ein großer Spass, und die Taufurkunde ist ein einmaliges Erinnerungsstück.
Auf 30 Grad südlicher Breite begannen wir mit dem Klarieren der Fischereiausrüstung. Die Überfahrt war für die umfangreichen Arbeiten an Netzen und Geschirr bestens geeignet. Auch das Probeaussetzen der Netze brachte Erkenntnisse, die für einen ungehinderten Start der Fischerei am Fangplatz nützlich waren. Keineswegs gut, aber sehr wichtig, war dabei die Mängelfeststellung an der neuentwickelten Kurrleinenlängenmesseinrichtung (KLME) und an der Zugkraftmesseinrichtung (ZME) der beiden Kurrleinenwinden. Beide Systeme konnten wir während der gesamten Fangreise nur unregelmäßig nutzen. Aber die langjährigen Erfahrungen der Windenfahrer und des Trawlmeisters gewährleisteten eine effektive Fischerei auch ohne diese Messeinrichtungen.

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In den folgenden Tagen wurden Wetter und See immer rauer, ab Höhe der Falklands begleiteten uns Albatrosse mit majestätischem Flug und, obwohl August, war an Deck Winterkleidung erforderlich. Bei der Einfahrt in die Drakestraße kamen Eisberge in Sicht, zu denen der Rudergänger das Schiff auf respektvollem Abstand hielt. Nach achtundzwanzig Tagen erreichten wir den Pazifik, als wir am 19.8.1986 etwa 200 sm südlich von Kap Hoorn auf Kurs West gingen. Das Deck am Morgen mit einer leichten Schneeschicht überzogen zu sehen, war schon irritierend. Während der „Umrundung“ des Kaps musste „Moonzund“ dann seine Seefähigkeit erstmals richtig unter Beweis stellen, da uns der „Stille Ozean“ keineswegs empfing, wie sein Name suggeriert. Auf der Fahrt nach Norden entlang des 80. westlichen Längen-grades/Westküste Chile in Richtung Fangplatz hatten wir noch einiges abzuwettern. Die See erreichte Stärke 8 (Wind 9-10 Bft) mit Wellenhöhen zum Teil über 10 m. Mein Versuch, von der Brücke aus Fotos zu schießen, war völlig gescheitert. Das Vorschiff wurde von Brechern überspült und die Gischt schoss bis über das Brückendeck und verhinderte eine einigermaßen Sicht nach draußen. Dieses Wetter hielt sich etwa drei bis vier Tage. Die positiven Effekte waren, dass die gemessenen Stampf- und Rollbewegungen des Schiffes (6° und 12°) den Prognosen entsprachen und dass die Wäsche in der Badewanne sich von selbst wie in einer modernen Waschmaschine reinigte.
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Weniger angenehm war in dieser Situation aber die Lage unserer Kojen im Vorschiff. Das Stampfen des Trawlers machte sich an dieser exponierten Stelle natürlich am stärksten bemerkbar. Vor allem Schlafen gelang erst so nach und nach, da man ständig das Gefühl des Aufs und Ab wie auf einer Schaukel hatte. Belastend war anfänglich auch der spürbare „slamming effekt“ des Schiffskörpers. Wenn sich der Bug des Schiffes aus dem Wasser hebt und danach wieder in die Welle „knallt“, vibriert das Schiff von vorn nach hinten (einfacher gesagt, nach einem dumpfen Knall geht ein Zittern durch das ganze Schiff). Aber schon in der zweiten Nacht nahm ich dies nicht mehr ganz so heftig wahr. Gestört wurde der Schlaf diesmal allerdings durch ein völlig unerwartetes Ereignis. Wir waren wohl an eine besonders ausgeprägte Welle geraten, denn nach einem Schock, so als würde man im Auto über ein großes Schlagloch fahren, schepperte es im Nachbarraum gewaltig. In der Ambulanz ging ein Teil der Vitrinen mit medizinischen Gläsern und anderes loses Inventar zu Bruch.
Das Wetter besserte sich dann zusehends und am 25. August 1986, also nach 34 Tagen Seefahrt, erreichten wir den Fangplatz ca. 250 sm südlich der Juan-Fernandez-Inseln vor der Küste Chiles. Hier im Südost-Pazifik hatte die sowjetische Fernfischerei eine starke Flotte konzentriert mit einer technisch-kommerziellen Basis in Calloa, Peru. Die Lage und Nutzung der einzelnen Fanggebiete in diesem riesigen Seegebiet war in erster Linie vom Fischvorkommen abhängig unter strenger Respektierung der 200 sm Fischerei-Schutzzonen Perus und Chiles. Bei unserem Eintreffen waren ca. 20 große Trawler beim Fischen, darunter Atlantik-Supertrawler als auch kubanische und spanische Fänger. „Moonzund“ begann unmittelbar mit der Fischerei und der erste Hol war mit 12 to recht mäßig. Während der gesamten Fischerei bis Ende Dezember 1986 wurde überwiegend Makrele gefangen. Der Humboldtstrom, der nährstoffreiches Tiefenwasser aus der Antarktis entlang der Westküste Südamerikas bis zum Äquator befördert, sorgte für ein reiches Fischvorkommen und war Ziel von Schiffen mehrerer Fischereinationen. Blickte man bei Dunkelheit von der Brücke, konnte es sein, dass der Horizont rundum mit Lichtern gespickt war. Unvorstellbar, welcher Belastung die Meeresressourcen ausgesetzt waren.
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Von nun an dominierten das Fischen und die Verarbeitung das Leben an Bord. Mit fünf Hols und durchschnittlich 78 t Fisch pro Tag waren die Produktionsanlagen im Dauerbetrieb. Die Wechselnetzmethode mit den Jagernetzwinden erwies sich als höchst effektiv. Die Gienwinden beim Hieven und die Kippwinden beim Anheben des Steerts für dessen Entleerung kamen oft an ihre Grenzen bei prallvollen Netzen. Nach dem Schlitzen des Netzbeutels bei sehr großen Hols spülten die Decksleute den Fisch mit dem Feuerlöschschlauch in die Bunker. „Moonzund“ hatte die Aufgabe, in 111 Fangtagen ca. 8000 t Ware zu produzieren. Der Fangplatz wurde zweimal gewechselt und fünfmal legten wir an Kühl- und Transportschiffe (KTS) an zur Übergabe unserer Ladung und Übernahme von Proviant. Dazu gingen wir bei kleiner Fahrt längsseits an das KTS bis zum Festmachen. Riesige Fender vom KTS zwischen den Bordwänden der Schiffe gewährten den notwendigen Schutz gegen Beschädigungen. Die Läufer der Ladegeschirre beider Schiffe wurden gekoppelt und im sog. Telefoniebetrieb schwebten die Paletten mit den Frostfischblöcken und Konservendosen hinüber zum KTS und verschwanden dort in den Kühlladeräumen.
Am 16.12.1986 kam es dabei noch zu einer Besonderheit. Mit uns machte auf 38°S/87°W an der anderen Bordseite eines KTS der Atlantik-Supertrawler „Prometey“ fest, das erste und 14 Jahre alte Schiff jener Serie. So trafen sich zwei „Nullschiffe“ der Volkswerft auf dem Pazifik. Des Weiteren war mehrmals das Betanken unseres Schiffes erforderlich. Auch hier näherten sich Tanker und „Moonzund“ bei kleiner Fahrt, bis sich ersterer ca.30–50 m vor uns gesetzt hatte. Mit Hilfe von Wurfleine und Stropp wurde ein schwimmender Schlauch vom Tanker übernommen, durch den dann der Dieselkraftstoff gepumpt wurde bei ständig kleiner Fahrt des Verbandes zur Aufrechterhaltung der Manövrierfähigkeit im leichten Seegang.

Das Bordleben war in den Wochen zwischen zwanzigsten und vierzigsten südlichen Breitengrad keineswegs eintönig. Alle hochkomplexen Anlagen im Dauerbetrieb mussten ihre projektierten Parameter nachweisen, die wir mit speziellen Messreihen erfassten, seien es das Betriebsverhalten der Antriebsanlage, aller peripheren Systeme, der Kühl- und Gefrieranlagen oder der Konservenanlage und anderer gewesen. Das Wichtigste war das ständige Agieren bei der Vielzahl von Mängelanzeigen, sowohl auf dem Papier als auch vor Ort. Es mag für den Laien etwas seltsam klingen, aber Störungen im Schiffsbetrieb, zumal bei einer Kompaktheit dieser vielen neuentwickelten Anlagen, sind fast Tagesgeschäft. Die Reserveteile an Bord, die Qualifikation der Besatzung und unsere Mitwirkung garantierten immer eine Reparatur ohne Ausfälle der Fischerei oder der Produktion.
Auch als einmal die Salzdosiermaschine in der Konservenanlage ausfiel, gab es eine „Zwischenlösung“. Kurzerhand wurde ein Matrose an das Band gestellt mit einem Salzbehälter und in jede vorbeilaufende Fischdose auf dem Band gab er eine Prise Salz. Ein Grinsen konnten wir uns da nicht verkneifen, der arme Kerl. Bis zur erfolgreichen Reparatur wurden dazu mehrere Männer immer nur für kurze Zeit abgestellt. Mein Angebot an den Kapitän, bei großen Fängen doch mal in der Fischbearbeitung mitzuarbeiten, wurde anfangs strikt abgelehnt. Vermutlich zwang Arbeitsschutz zu dieser Absage, aber mein Beharren auf dem Wunsch, und dies auch unentgeltlich zu tun, führte doch noch zum Erfolg. Mein Respekt vor den Männern mit diesem Job stieg erheblich.
Das Verhältnis zur Besatzung überhaupt begann schon auf der Überfahrt kameradschaftliche Züge anzunehmen. Klar, für die „protokollarischen“ Aufgaben waren die Offiziere unsere Partner, aber recht schnell waren auch Kontakte zu großen Teilen der Besatzung hergestellt. Für eine Zigarette in meiner Freizeit mit dem Maschinisten im Fahrleitstand, mit dem Rudergänger nachts auf der Brücke oder beim Bootsmann, Koch u.a. in der Kabine gab es ständig eine Gelegenheit. Sprachschwierigkeiten wurden anfangs mit Hilfe der technischen Dokumentationen, Wörterbuch und Schulkenntnissen minimiert. Die „Bordsprache“ mit deftigen Seemannsworten erlernte sich aber fast von selbst.
Auch die anfängliche Sorge um die angeblich einseitige Ernährung an Bord russischer und ukrainischer Trawler mit Kascha (Buchweizenbrei) legte sich schnell. Die estnische Küche war abwechslungsreich und das ständig frische Brot war sogar köstlich. Huhn- und Fischgerichte wechselten ständig. Wäre aber gelogen, wenn wir nur mit Hochgenuss gespeist hätten. Die Versorgung mit Obst erfolgte, wenn wir an ein KTS anlegten. Apropos Genuss – Alkohol war an Bord verbannt. Sogar der kleine „Wiederbelebungsschluck“ vom Kapitän nach der Äquatortaufe war kein Wodka, sondern Wein. Dagegen waren wir vier mit „Konterbande“ ordentlich bestückt, was die Schiffsführung wohlwollend übersah. Eine Flasche pro Mann für zwei Wochen fanden wir wohl für angemessen. 600 Schachteln Filterzigaretten, 135 Tüten Kaffee und 100 Tafeln Schokolade als Transitware halfen doch, manche Aufregung besser abklingen zu lassen. Norbert und ich, wir hatten uns mit Hilfe des Bootsmanns eine Mini-Anrichte für Geschirr und Wasserkocher sowie einen Behelfstisch eingebaut, womit sogar eine „behagliche“ Atmosphäre gezaubert war.
In der Nacht zum 23. Dezember 1986 wurde die Fischerei mit dem 495. Hol beendet. Der maximale Hol mit 70 t aus früheren Tagen wurde damit aber nicht mehr erreicht. Der Bug zeigte jetzt nur nach Norden Kurs Callao, Peru, wo wir am 31. Dezember 1986 auf Reede (12°S/77°10`W) vor Anker gingen.
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Die Besatzung trat Anfang Januar die Heimreise an und wir verblieben noch drei Wochen an Bord, um an Rückmontagen wichtiger Anlagen teilzunehmen. Für die vielen unvergesslichen Reiseeindrücke an Bord, ob nun Geburtstage, Fasching, Weihnachten, Silvester oder Verspeisen einer Riesenschildkröte, alles gespickt mit seemännischem Witz, und bei den Landgängen in Lima, Peru, fehlt hier leider der Platz zum Erzählen. Die Anzahl der Landgänge war allerdings stark eingeschränkt wegen der angeblichen Gefahren durch den Guerillakrieg mit dem „Leuchtenden Pfad“.
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Ende Januar 1987 war „Moonzund“ so weit vorbereitet, dass die zweite Reise zu den bisherigen Fanggebieten erfolgen konnte. Im Rahmen eines regulären Besatzungsaustauschs der Flotte traten wir am 25.01.87 die Heimreise an. An Bord einer IL 62 M der Aeroflot ging der Flug mit Zwischenlandungen in Havanna, Kuba und Shannon, Irland nach Moskau. Einen Tag später landeten wir spät abends in Berlin-Schönefeld, wo uns unsere Frauen mit einem Werftbus abholten.
Nach Ende der Fangreise bedankte sich die Schiffsführung mit einem Telegramm an den Direktor der Volkswerft für die geleistete Arbeit der Werftvertreter und die hervorragenden Eigenschaften des Schiffes.
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Ein spezielles Thema wurde im Nachhinein strikt vertraulich verhandelt. Eine zeitweilig an Bord befindliche Expertengruppe des sowjetischen Fischereiministeriums hatte intern berichtet, dass das Schwingungsniveau des Achterschiffes verbessert werden sollte. Zur Klärung konnten aber nur zuverlässige Vibrationsmessungen beitragen. Dies führte dazu, dass ich im Mai des Jahres mit einem kleinen Meßtrupp über Callao,Peru wieder zur „Moonzund“ auf dem Fangplatz im südlichen Pazifik reiste. Dies ist dann aber eine andere Geschichte über die zweite Fangreise des Atlantik 488.
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Die Auswertung der Messungen konnte alle Bedenken ausräumen. Wir traten mit „Moonzund“ die Heimreise an, diesmal um Kap Hoorn und über den Äquator in entgegengesetzter Richtung. Bevor der Fabriktrawler heimatliche Gewässer erreichte, wurde noch für drei Tage im Hafen von Santa Cruz de Teneriffe auf den Kanaren angelegt. Am 15. Juli 1987 gingen wir auf Reede Saßnitz vor Anker und beendeten die zweite Seereise mit „Moonzund“.

