Werften mit völlig neuem Gesicht
Die Werften veränderten sich sehr schnell und die Schiffe werden immer größer.
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Auszug aus dem Buchprojekt
„Die ganze Geschichte des Baus von Schiffen von den Anfängen bis
in die Zukunft“
von Dr.-Ing. Reinhard Schaffer
Dr.-Ing. Reinhard Schaffer, Jahrgang 1939, gelernter Stahlschiffbauer, studierte Schiffbau und Schweißtechnik, später Ingenieurökonomie. Er war Facharbeiter, Betriebsingenieur und Abteilungsleiter auf der Warnowwerft, danach Hochschullehrer an der Ingenieurhochschule Warnemünde. Ab 1987 war er Fachdirektors für Organisation und Datenverarbeitung bei der VVB Schiffbau. Nach 1990 arbeitete er als freiberuflicher Ingenieurberater, unter anderem als technischer Gutachter und Seniorberater auf 25 Werften weltweit.
Im Gegensatz zur Nietbauweise, bei der die zu verbindenden Teile von beiden Seiten durch den Nietenschläger und den Gegenhalter oder durch kostspielige, schwer handhabbare Nietmaschinen zugänglich sein mussten, ermöglichte es nun die Schweißtechnik, große Flächen aus mehreren Platten auf einer Ebene auszulegen, zu schweißen, mit Spanten, Deckbalken und sonstigen Bauteilen in idealer Position zu bestücken und in bequemer sogenannter „Wannenlage“ und unter dem Dach, das heißt in den Werkstätten (Schiffbauhallen), zusammenzufügen. Die Größe dieser sogenannten Sektionen war einzig von der Hebekapazität der installierten Krananlagen und von den Durchfahrtsmaßen der Tore der Werkstätten abhängig.
Während bei der Nietbauweise lediglich die Einzelteilefertigung maschinell mittels Scheren, Kantenhobelmaschinen, Biegepressen und Lochmaschinen in überdachten Werkstätten durchgeführt wurde, konnte nun ein großer Teil der Montage der Einzelteile von der Helling unter freiem Himmel in die Vormontage-Werkstätten, die Schiffbauhallen verlagert werden. Das führte zu einem wesentlich geringeren Arbeitsaufwand unter „freiem Himmel“ und zu kürzeren Bauzeiten auf der Helling. Während immer größere Schiffbauhallen für die Vormontage neu errichtet wurden, verringerte sich die Anzahl der Helgen.
Dafür mussten die Helgen mit zunehmend schwereren Krananlagen ausgerüstet werden, um den Transport und die Positionierung der immer größer und schwerer werdenden vormontierten Baugruppen (Sektionen) zu ermöglichen. Anfangs, in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jh. wurde es schon als Gigantismus angesehen, wenn ein Portalkran oder eine Kabelkrananlage in der Lage war, Sektionen mit Gewichten von 50 Tonnen zu heben und auf der Helling zu positionieren. Die damals übliche Größe von überdachten Schiffbauhallen überschritt die Länge von 200 m und die Breite von 100 m kaum. Die Warnowwerft in Warnemünde rühmte sich in den 1950-ziger Jahren, mit diesen Abmessungen, die größte Schiffbauhalle Europas zu besitzen. Allerdings hatten sich bis in die sechziger Jahre die Schiffe in ihren Abmessungen nicht wesentlich verändert und gingen kaum über das Liberty- Maß (10.000 DWT mit ca. 150 m Länge) hinaus.
Die zweite große Erneuerung nach dem 2. Weltkrieg war der recht schnelle Übergang von der Kolbendampfmaschine zur Dampfturbine und zum Verbrennungsmotor. Die in jeder klassischen Werft bestehenden „Kesselschmieden“ zur Herstellung der Dampfkessel wurden überflüssig und verschwanden aus dem Werftbild. Einige Werften, besonders in Osteuropa, versuchten, die neuen Antriebsmotoren selbst zu fertigen, konnten aber aufgrund zu geringer Stückzahlen für den Eigenverbrauch und der enorm hohen Anlageninvestitionen für notwendige Werkzeugmaschinen zur Großteilebearbeitung nicht rentabel produzieren. So entwickelten sich richtigerweise spezialisierte Dieselmotoren- und Turbinenproduzenten, meist in räumlicher Nähe zu den großen Werften.
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Um produktiver zu werden, wurden nach und nach auch viele Gewerke zur Schiffsausrüstung und Schiffseinrichtung aus der Werft ausgelagert. So konnten Schreinereien, Elektrogewerke, Isolierungs- und Konservierungsabteilungen in selbständigen Unternehmen gleichzeitig mehrere Werften und auch andere Bedarfsträger beliefern. Einzig der Rohrleitungsbau, meist inklusive einer Verzinkerei, verblieb vorerst wegen der geometrischen Nähe der Rohrleitungssysteme zur Schiffskörperkonstruktion noch sehr lange in der direkten Regie der Werft.
Regional unterschiedlich, entwickelten sich aus den bisher „alles könnenden“ Vollwerften nur auf die Herstellung des Schiffskörpers und dessen Ausrüstungsmontage ausgerichtete Montagewerften. Das führte dazu, dass um die „Montagewerften“ herum eine hochspezialisierte und effektive Zulieferungsindustrie entstand. Das stellte natürlich höhere Anforderungen an die Logistik, hatte aber den Vorteil, dass die „ausgegliederten“ Zulieferer nicht mehr nur vom Auftragsbestand des Schiffbaus abhängig waren, sondern auch andere zu ihrem Profil passende Produkte liefern konnten und damit besser und gleichmäßiger ausgelastet waren.
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Die neuen Werften bestanden nun bis in die 1980-ziger Jahre aus den fünf Bereichen:
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Einzelteilfertigung mit vorgelagertem Profil-, Blech- bzw. Plattenlager
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Vormontage mit den Bereichen Gruppenfertigung, Panelfertigung, Flachsektions- und Volumensektionsfertigung
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Schiffskörpermontageplätze in Form von konventionellen Helgen, Trockendocks oder Absenkanlagen
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Liegeplätze für die Ausrüstung mit Lagermöglichkeiten für Ausrüstungslieferungen
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Werkstatt für den Rohrleitungsbau

Typisches Layout einer Werft der
Nietbauweise mit vielen Helgen und einer relativ kleinen Werkstatt zur Teilefertigung

Layout einer modernen Werft mit zwei Baudocks und überdachten Vor- und Endmontagewerkstätten
Einen entscheidenden Einfluss auf das Gesicht der Werften hatte natürlich die Entwicklung der Schiffsgröße. Bis in die sechziger Jahre wurden die für den Truppen- und Materialtransport gebauten Liberty-Schiffe für den Ersatz der verloren gegangenen Welthandelsflotte genutzt. Die dann nach und nach ausgemusterten Schiffe wurden durch die sogenannten Liberty-Ersatzschiffe ersetzt. Diese waren zwar moderner aber behielten die Standardgröße von 10.000 - 15.000 DWT. Diese Größe war der Umschlagstechnologie und dem Ausrüstungsniveau der meisten Häfen weltweit angepasst.
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Durch geopolitische Konflikte, insbesondere den israelisch - ägyptischen Krieg 1967, als der Suez-Kanal acht Jahre gesperrt war, explodierte die Schiffsgröße ins Gigantische, um den Transport um das Kap der guten Hoffnung einigermaßen rentabel zu gestalten. So entstanden neue Werften, die in der Lage sein mussten, Schiffe bis 500.000 DWT zu bauen​
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Die Werften der Nachkriegszeit ( 1945 bis 1980 ) - Volkswerft Stralsund
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"In meiner 11-jährigen Praxis als Fachjournalist besuchte ich Werften in Japan, Schweden, Norwegen, Holland, Frankreich, Spanien und anderen Ländern. Ich war in jeder Fischereischiffe bauenden englischen und schottischen Werft. Und dennoch ! Die Stralsunder Werft beeindruckte mich mehr als irgendeine andere. Nirgendwo erlebte ich eine solch moderne Fertigung auf Taktstraßen. Auf keiner Werft traf ich eine so große Serie so schnell produzierter Fischereischiffe an“
H. S. Noel 1968 in der Fachzeitschrift „World Fishing“ Zitiert aus Strobel; Ortlieb: Volkswerft Stralsund, Koehler Hamburg 1998.
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Der von der Hansezeit bis um 1850 in Stralsund boomende Schiffbau versank mit Beginn des Eisenschiffbaus in den folgenden 100 Jahren in die Bedeutungslosigkeit. Im ersten Teil von „Die ganze Geschichte“ wird über den Holzschiffbau der Hanse und Nachhansezeit in Stralsund ausführlich berichtet.
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Erst am 7. Januar 1941 wurde beim Amtsgericht Stralsund die Kröger-Werft GmbH als Ableger der Krögerwerft Warnemünde eingetragen. Am 13. März 1941 begann man mit dem Bau der Werft auf einem 56.700 Quadratmeter großen Grundstück im Industriehafen. Die dafür notwendigen Arbeitskräfte wurden durch Kriegsgefangene rekrutiert. Ein Teil des damaligen Fischereihafens wurde verlegt und im Hafen der Süd-Kai neu angelegt.angelegt.
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Am 1. April 1942 begann die Produktion von kleinen Marineschiffen. Die Krögerwerft südlich des Rügendamms „repräsentierte“ den Schiffbau in Stralsund.

Im Hintergrund links die Gebäude der Krögerwerft
Nach dem zweiten Weltkrieg lag aber auch dieser Restschiffbau in Trümmern. Alles Brauchbare wurde noch vor Ende des Krieges vom Besitzer der Werft verladen und nach Schleswig-Holstein (in den Westen) verfrachtet um es vor den „Russen“ zu retten. Kröger selbst rettete sich wie fast alle Kriegsprofiteure auch in „westalliierte Obhut“.
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Stralsund lag nun in der sowjetischen Besatzungszone und wurde Quasi von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) regiert. Die SMAD war aber der Auffassung, dass auf dem verlassenen und umliegenden Land gute Voraussetzungen bestehen, Reparationsleistungen Deutschlands an die Sowjetunion zu organisieren. Sie befahl dann auch am 17. 04.1946 den Bau von zwölf Stück 17-Meter- Fischkuttern aus Holz, von denen 4 noch 1946 und 8 1947 abgeliefert werden sollten. „Aus nichts etwas machen“. Unter den zu dieser Zeit 109 Beschäftigten waren lediglich 5 Eisenschiffbauer, 12 Bootsbauer, 2 Elektroschweißer und 3 Kupferschmiede. Wer einen Hammer zuhause hatte, brachte ihn mit auf die Werft. Unter schwierigsten Bedingungen des Werkzeug- und Materialmangels gelang es, die SMAD irgendwie zufrieden zu stellen.
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Die Nachfolgeaufträge waren nicht weniger anspruchsvoll, sodass der Bau einer völlig neuen Werft erforderlich wurde. Die sogenannte Loggerfabrik mit ihrer in dieser Zeit bahnbrechenden Technologie wurde von Mitte 1948 bis Mitte 1949 förmlich in den Boden gestampft.
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Die Errichtung der Volkswerft
Die Projektingenieure und Planer der Volkswerft haben offensichtlich HENRY JOHN KAISER über sie Schulter geschaut. Es entstand wohl, ähnlich dem Bau der Liberty-Schiffe während des zweiten Weltkrieges, weltweit zum zweiten Mal eine durchorganisierte Taktfertigung für den Bau von Schiffen. Sogar unter ähnlichem Zeitdruck wie damals im 2. Weltkrieg in den USA und Kanada. Möglich aber auch, dass sie sich von DORMIDONTOW´S „Technologie des Schiffbaus“ inspirieren ließen.
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Die Grundidee: Auf drei parallelen Taktstraßen von denen jede eine Länge von ca.10 Schiffen mit einer Länge von bis zu von 60 Metern hatte, wurden die Schiffskörper (in 5Takten) und die Ausrüstung (in 4 Takten) in Richtung einer Quer-Slip-Anlage zu immer höherem Fertigungsgrad getaktet. Parallel zu den drei Taktstraßen waren die Sektionsvormontage und die Ausrüstungswerkstätten angeordnet und damit kurze Layout der neuen Volkswerft um 1949 Wege gewährleistet. Die Schiffe standen auf Plattformen, die auf Gleisen von Takt zu Takt weitergrückt wurden und nach dem Zuwasserlassen aufschwammen um wieder in den ersten Takt eingereiht zu werden. Diese Technologie fand ihresgleichen weltweit nicht, zumal wenn man bedenkt unter welchen schwierigen Bedingungen sie realisiert werden musste.
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Die Grundzüge des Projektes Volkswerft entstanden unter Mitwirkung des 1954 verstorbenen Schiffbau-Oberingenieur Walter Schlaak, der Leiter des 1946 in Warnemünde gegründeten wissenschaftlich-technischen Büros (WTB) war. Vor dem Krieg war er bei der Werft Schichau-Danzig Konstrukteur und für richtungsweisende Arbeiten bekannt. Die umwälzende Technologie der Sektionsbauweise im Schiffbau entstammt seinen Überlegungen.
An Fertigungstechnik war am Anfang noch nicht viel vorhanden. Weltweit war der Übergang von der Nietbauweise zur Schweißtechnologie noch nicht vollständig vollzogen. Da aber die zum Nieten erforderlichen Maschinen nicht verfügbar waren, hat man sich auf der jungen Werft von Anfang an für die Anwendung der Schweißtechnik entschieden.
Die Einzelteile wurden nach Konstruktionszeichnung auf dem Schnürboden auf ihre wahre Größe und Form abgewickelt und als Schablonen, Messlatten oder Aufmaßtabellen in die Anzeichnerei gegeben und anfangs in reiner Handarbeit mittels Azelylen/Sauerstoff-Brenn-Geräten nach Anriss ausgeschnitten. Der Autor erinnert sich dass es schon ein großer Fortschritt war, wenn am Handbrenngerät ein sogenannter „Ruckschutz“ angebracht war, der das Zittern der Hände des Schiffbauers dämpfen sollte. Schließlich war für das Verschweißen der Teile eine möglichst glatte Schweißnahtvorbereitung Voraussetzung für Produktivität und Qualität. Erst nach und nach wurden mechanische parallel laufende Portale oder Kopierportale als Träger für die Schneidbrenner eingeführt.
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Die Verformung der Teile erfolgte in reiner Handarbeit. Aufgrund der geringen Größe der Logger, war der Verformungsgrad der Außenhaut entsprechend groß. Es gab fast keinen ebenen Bereich (heute würden wir sagen: kein paralleles Mittelschiff). Sogar das Heck war vollkommen „rund“ geformt. Die weniger verformten Außenhautplatten wurden durch Erwärmung mittels Azetylen/Sauerstoff Flamme und die mehr verformten im Sandkasten oder auf der Richtplatte durch „hämmern“ verformt. Der Truppführer führte eine Blechlasche über die Platte und zwei bis drei Zuschläger schlugen im Takt aus voller Kraft auf die Lasche. Dadurch wurde das Material gestreckt und erhielt eine dreidimensionale Form. Das erforderte eine erhebliche Erfahrung für den Laschenführer und war für die Schläger natürlich eine körperlich sehr anstrengende Tätigkeit.
Die „Blechbieger“ brauchten sich also um ein Bier mehr oder weniger gegen den Durst am Abend keine Sorgen zu machen. Um die richtige Form zu erreichen, wurden auf dem Schnürboden hergestellte Schablonen verwendet. Für Kantarbeiten und für die Verformungvon Teilen mit dickeren Blechstärken wurden erste hydraulische Pressen verwendet.
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Die Vormontage :

Holzschablonen für die Anzeichnerei werden auf dem Schnürboden nach dem Linienriss gefertigt

Für Kantarbeiten und für die Verformung von Teilen mit dickerer Blechstärken wurden erste hydraulische Pressen verwendet.

Die Sektionsfertigung in Halle V: rechts sieht man die Formlehre für eine stark verformte Aussenhautsektion
Aufgrund der geplanten großen Stückzahlen baugleicher Schiffe, wurden von Anfang an auf der Werft für die Fertigung der Sektionen wiederverwendbare Vorrichtungen eingesetzt. So wurden Außenhautsektionen mit großen Verformungen in Formlehren gebaut, wie sie schon beim Bau der Liberty Schiffe in den USA und Kanada angewendet wurden. Die Formlehren waren quasi Negativformen des Schiffskörpers in die die einzelnen verformten Außenhautplatten eingelegt und verschweißt und dann mit den originalen Spant- und Stringerprofilen bestückt wurden. Danach wurden sie gewendet und von außen fertig geschweißt. In dieser Zeit war der Schiffbau von der einseitigen Schweißung von Blechen weit entfernt. Diese Boden-, Seiten-, Decks- und Schottsektionen wurden im Volumenbau auf Taktwagen mit einer Montageplattform zu Volumensektionen zusammengebaut und auf die Endmontage-Taktstraßen quer verschoben. Durch diesen Transport über Flur ersparte man sich eine schwere Bekranung.
Es gab sogar Ideen, eine Baulehre für die gesamte Backbord- und eine für die gesamte Steuerbordseite zu bauen und nach Fertigstellung beider Seiten diese „nur“ zum Schiff zusammenzuklappen. Die Simulation des Ablaufs unter der Bedingung der großen Stückzahlen hatte aber ergeben, dass mindestens drei derartige Vorrichtungen erforderlich gewesen wären. Auch war für das „Gegenschweißen“ der Außenhaut noch keine Lösung in Sicht.
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Die Schiffskörpermontage:
Die Schiffskörpermontage wurde „einfach“ durch das Zusammenschieben der auf den Taktwagen befindlichen Volumensektionen realisiert. „Einfach“ ist deshalb in Anführungsstriche gesetzt, weil natürlich der Aufwand für das Zusammenpassen der Volumenstöße von deren Maß- und Formgenauigkeit abhängig war. Durch die große Stückzahl baugleicher Schiffe konnten zwar wirtschaftlich Vorrichtungen und Lehren eingesetzt werden, um die Genauigkeit der Volumenstöße noch vor der Endmontage zu verbessern, dennoch waren Knagge, Keil, Vorschlaghammer, Schraubzwinge und Brechstange noch lange Zeit die am häufigsten verwendeten Werkzeuge des Schiffbauers, um die durch Schrumpfungen und Spannungen bedingten Maßungenauigkeiten und Ausbeulungen auszugleichen. Das Alles geschah „unter dem Dach“, das heißt unabhängig von Witterungseinflüssen und ohne schwere Hebetechnik.
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Die Schiffsausrüstung:
Bereits zu dieser Zeit wurden Haupt- und Hilfsmaschine und sonstige Aggregate und Typ 1 Rohrleitungsstücke schon quasi bei „offenem Schiff“ zum Teil in die Volumensektionen eingebaut. Das war im Schiffbau zu dieser Zeit durchaus noch nicht üblich. Für die restlichen Gewerke waren die Werkstätten auf kürzestem Wege direkt neben den Taktstraßen angeordnet. Eine besondere Stellung hatte der Rohrleitungsbau, der durch den hohen Wiederholungsgrad der Passrohre von Schiff zu Schiff sehr rationell mit geringem Anpassaufwand erfolgen konnte.
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Der erste Logger aus der Loggerfabrik auf derQuerslipanlage

Seitentrawler am laufenden Band. Vor der Montagehalle VI wurde
die Überdachung erweitert
Immerhin wurden in der Urwerft von Beginn 1948 bis zur ersten Erweiterung 1957 594 Logger und 171 Mitteltrawler sowie neben diesen Großserien 40 sonstige „Einzelschiffe“ gebaut. Damit wurden im Jahr bis zu 80 Schiffe oder alle 3,7 Tage ein Schiff ausgeliefert. Derartige Stückzahlen gleicher Schiffe waren im Nachkriegsschiffbau weltweit einmalig und ermöglichten natürlich den Einsatz damals bekannter rationeller Arbeitsmethoden.
Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die Volkswerft den großen Anteil an Reparationsleistungen für die Zerstörungen im 2. Weltkrieg abarbeiten musste. Über die Abrechnung der Reparationsleistungen gibt es kaum reale Angaben. Als bekannt wird angenommen, dass der Verrechnungswert auf das Reparationskonto für einen Logger 400.000,- DM betragen hat, die Produktionskosten für einen Logger allerdings bei 1,2 Millionen lagen. Die Basis für den Verrechnungswert waren dabei die „Vorkriegspreise“. Allerdings ist nicht verbrieft, dass sich die Arbeitskosten bei derartig großen Stückzahlen im Verlaufe der Serie drastisch bis auf 50% reduziert haben.
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Die erste große Werfterweiterung 1957/58
Werftausbau Süd oder „Wie dreht man eine Werft einfach rum?“
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Die hydraulische Absenkanlage mit einer Länge von 100 m und einer Tragfähigkeit von bis zu 3.300 t.

Der nach Süden gedrehte technologische Ablauf
Bis 1957, in 10 Jahren seit Gründung der Werft, sind insgesamt 520 Fischereifahrzeuge abgeliefert worden, Kutter (17-26m), Logger (39m) und Seitentrawler (58m). Eine Werfterweiterung war bitter nötig, weil die Schiffe immer größer wurden. So sollten von 1962 bis 1965 66 Stück Fang- und Gefrierschiffe vom Typ „TROPIK“ mit 80 m Länge geliefert werden und noch größere standen in Aussicht. Dazu musste die Werft völlig neu aufgestellt werden, natürlich bei laufender Fertigung und geringen Investitionskosten.
In südlicher Richtung wurde hinter die bestehenden Bausubstanz ein völlig neuer Werftplatz aufgespült. Der technologische Fluss in den vorhandenen Schiffbauhallen wurde von Süd nach Nord „einfach“ um 180 Grad auf von Nord nach Süd gedreht. Allerdings reichten die Abmessungen der Hallen nicht mehr aus, um die nun größeren Schiffe „unter dem Dach“ zusammen zu bauen. Für die Endmontage sowie die Verlegung des Plattenlagers und der Teilefertigung (Zuschnitt und Verformung) wurde eine Erweiterung der Werftfläche in südlicher Richtung („Werftausbau Süd“) um etwa 75.000 m2 erforderlich. Das Land musste größtenteils aufgespült werden.
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Kern der ersten Werfterweiterung waren eine Helling mit drei 180m langen Baugleisen, eine Querverschiebeplattform mit 20 Gleispaaren und eine hydraulische Hebe- und Absenkanlage, mit der bis zu 100 m lange und 16 m breite Schiffe mit einem Stapellaufgewicht von 3.300 t zu Wasser gelassen oder auf Land gehoben werden konnten. Die auf der Nordseite befindliche Slipanlage war zu klein geworden und wurde abgebaut. Der neue „Schiffslift“ war in seiner Art und Größe weltweit einmalig.
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Das Besondere am neuen technologischen Ablauf war, dass die im Bau befindlichen Schiffe über das Gleissystem mittels um 90 Grad drehbare Fahrgestelle sowohl längs- als auch quer verschoben werden konnten und dadurch die Taktfertigung auch für die großen Schiffe realisiert wurde. Auf diese Weise konnten sechs Schiffe versetzt parallel gleichzeitig gebaut werden.
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Für die Rationalisierung von Teilezuschnitt und die Verformung wurde auf dem neu geschaffenen Gelände des Südausbaus ein Neubau mit drei Hallenschiffen und vorgeschaltetem Platten- und Profillager errichtet.
Eine wesentliche fertigungstechnische Neuerung war die Automatisierung des Teilezuschnitts. Anfang der sechziger Jahre wurde im Schiffbau weltweit der fotostromgesteuerte Teilezuschnitt eingeführt. Anstelle des Schnürbodens, der alle Teile im Maßstab 1:1 abwickelte und die Maße und Formen in Form von Aufmasstabellen, Maßlatten oder Schablonen an die Anzeichnerei gab, entstand das sogenannte optische Zeichenbüro, das die Aufgaben des Schnürbodens übernahm, die Einzelteile jedoch im Maßstab 1 : 10 abwickelte, sie zeichnete und auf die meist standardisierten Schiffbauplatten verschachtelte.
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Die so entstandenen Brennvorlagen wurden wiederum im Maßstab 1:10 fotografisch zu gläsernen Brennnegativen verarbeitet, nach denen fotostromgesteuerte Brennportale die originalen Teile im Maßstab 100:1 aus den Schiffbauplatten herausschnitten. Durch die mehrfache fotooptische Veränderung des Maßstabes (vom Linienriss auf dem Schnürboden über die Vorlagezeichnung zum Brennnegativ und dann zurück zum Originalmaßstab, waren natürlich Maßfehler unausweichlich.
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Dazu kamen noch Ungenauigkeiten durch die mechanische Trägheit der Brennportale und später in der Montage die Schrumpfungen und Spannungen durch das Schweißen.
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Auf einer Platte sind alle möglichen Einzelteile verschachtelt, die nach dem Brennschnitt getrennt, entgratet und nach ihrem verbrauch in der Vormontage sortiert werden müssen
Das waren die Gründe dafür, für die Montage der einzelnen Teile zu größeren Gruppen Anpassübermaße (Zugaben) vorzusehen. Beim Zusammenbau der Volumensektionen wurde beispielsweise für eine Sektion ein Anpassübermaß in der Regel von 50 mm vorgesehen, das dann durch einen parallelen Schnitt zur anderen Sektion von Hand abgetrennt wurde. Das traf natürlich nicht nur für die Außenhautbeplattung zu, sondern auch für sämtliche längs verlaufenden Profile. Die in den 1960ziger Jahren verfügbaren Fertigungsverfahren waren noch nicht geeignet, in der Montage anstelle der Anpassmethode die wesentlich produktivere Austauschmethode anzuwenden.
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Materialausnutzung und ihre Folgen für die Organisation:
Als ein wesentlicher Vorteil des automatisierten Zuschnitts wurde die Möglichkeit einer höheren Materialausnutzung des Rohmaterials, in unserem Fall der Standard-Schiffbauplatten angesehen. Weil das optische Zeichenbüro quasi alle verfügbaren Einzelteile in ihrer Geometrie vorliegen hatte, konnten die Platten solange mit Einzelteilen belegt werden, bis eine maximale Ausnutzung erreicht war, egal wann die Teile im technologischen Ablauf eingebaut werden mussten.
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Nun ist es im Schiffbau so, dass so gut wie kein Teil dem anderen gleicht. Selbst Backbord- und Steuerbordteile sind nicht gleich, sondern sind nur spiegelbildlich gleich. Genormte Teile, die an jede Stelle des Schiffes passen, gibt es fast nicht. Als die Teile noch auf alte Weise vom Anzeichner nach den Angaben des Schnürbodens auf die Schiffbauplatte angezeichnet wurden, bestand der Auftrag, die Teile einer konkreten Sektion oder Baugruppe zusammen anzuzeichnen. Diese zusammengehörenden Teile wurden nach Zuschnitt und Verformung direkt an die Vormontage geliefert. Die Reste der durch diese Teile meist nicht voll ausgenutzten Platten legte sich der Anzeichner unter den Tisch und versuchte sie für den folgenden Auftrag, also die folgende Sektion, zu verwenden.
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Ein Mehrfach-Kehlnahtschweissportal auf Basis des Unter-Pulver-Schweissverfahrens. Zu sehen sind die an jedem Schweisskopf angeordneten Pulvertrichter, die permanent händisch nachgefüllt werden mussten.
Bei der Verschachtelung der Teile im optischen Zeichenbüro wurde dieser Prozess quasi vorgezogen. Konnte eine Schiffbauplatte nicht voll ausgenutzt werden, griff der „Verschachteler“ einfach auf Teile
später zu fertigende Sektionen zu. So befanden sich Teile verschiedener Sektionen auf einer Schiffbauplatte oder auch auf einer Brennvorlage. Das hatte zur Folge, dass nach dem Zuschnitt die Teile nach ihrem Verbrauch nach Sektionen sortiert werden mussten.
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Im Zuge der 2. Werfterweiterung wurde dann auch die Teilefertigung in einem geschlossenen Komplex an der Südseite der Werft automatisiert. Mit dem berühmten „automatisierten Plattentransport“ vom Plattenlager zur Platten- und Profilvorbehandlung (richtwalzen, entzundern und vorkonservieren), über Rollengänge und Querverschiebebühne zu den fotostromgesteuerten Brennautomaten bis zum Trenn- und Sortierplatz wurde das internationale technische Niveau nicht nur erreicht, sondern bestimmt.
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Insgesamt war das natürlich eine große Herausforderung, zumal die Auswirkung der neuen Technologie auf die Organisation unterschätzt wurde. Da jedoch auf allen Seewerften der DDR fast zeitgleich diese neue Technologie eingeführt wurde, konnten die Erfahrungen und Lösungen in überbetrieblichen Arbeitsgemeinschaften gut ausgetauscht werden. Lediglich der hohe Wiederholungsgrad immer gleicher Teile in kurzem Taktrhythmus verschaffte der Volkswerft Vorteile gegenüber den anderen Werften.
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Neue Verfahren in der Schweißtechnik:
Die junge Volkswerft war maßgeblich an der Entwicklung neuer Schweißverfahren beteiligt. Das 1951 gegründete Zentralinstitut für Schweißtechnik Halle arbeitete über eine Außenstelle in Warnemünde von Anfang an eng mit den Werften zusammen. Durch die schrittweise Ablösung der Elektrodenhandschweißung durch das Unter-Pulver-Schweißen (Verschweißen von Blankdraht von der Rolle unter Zuführung von Pulver als Schutzmedium) und durch das Schutzgasschweißen (Verschweißen von Blankdraht von der Rolle unter Zuführung von CO2 Gas als Schutzmedium) und wurde ein drastischer Produktivitätssprung sowohl bei der Mechanisierung der Prozesse als auch beim manuellen schweißen erreicht.
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Das Schutzgasschweißverfahren konnte sehr gut für das Handschweißen in Zwangslage und für erste mechanisierte vertikale
Schweißtraktoren eingesetzt werden. Der höchste Mechanisierungsgrad wurde durch das Unter Pulver (UP)-Schweißen erreicht. Für
das Schweißen von Kehlnähten in horizontaler Position (Profile auf Paneele) wurden erstmals Schweißportale mit mehreren Schweiß-
köpfen entwickelt und eingesetzt. Allerdings mussten die Profile auf die Paneele noch von Hand angezeichnet, aufgesetzt und geheftet
werden.
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​Die Montage der Schiffskörper konnte aufgrund der zugenommenen Schiffsgröße nicht mehr komplett in der Halle erfolgen. Die in den vorhandenen Schiffbauhallen vorgefertigten schiffsbreiten und hauptdeckhohen Volumensektionen (Ringvolumen) mussten deshalb einen möglichst hohen Fertigungsgrad haben, um den Aufwand unter freiem Himmel so gering als möglich zu halten. Sie wurden in bewährter Weise auf kastenförmigen Kielblockträgern als Montageplattform aus kleineren Sektionen zusammengebaut für deren Fertigung spezielle Fließstraßen existierten. Diese Kielblockträger wurden auf einem Baugleis in einem Raster, das der Sektionsteilung und Montagereihenfolge entsprach, aufgestellt. An die Bodenkontur des Schiffes angepasste Pallungen auf jedem Kielblockträger sorgten für die richtige Position und Stabilität der Volumensektionen.

Das Prinzip der Taktmontage von gleichzeitig 6 Schiffen auf „rollendem Kiel“.
Links die Querverschiebegleisanlage zur Absenkbühne,
rechts der Transportraum für die Verteilung der Ringvolumen aus der Schiffbauhalle.
Zum Vertakten der Volumensektionen und zum Längs- und Quertransport wurden hydraulische Stapelwagen unter die Kragarme der Kielblockträger gefahren, mit denen dann sowohl Volumensektionen als auch das ganze Schiff vom Baugleis abgehoben und damit zu einem rollfähigen System wurden. Die Verbindung der einzelnen Stapelwagen mit Hochdruck-Hydraulikschläuchen gewährleistete eine optimale Kraftverteilung auf den Schiffskörper und seine stabile Lage. Eine Windenanlage übernahm den Längstransport und für den Quertransport zur Absenkbühne kamen hydraulische Schub-Zug-Traktoren zum Einsatz. Auch diese Technologie war in dieser Zeit wegweisend für den Schiffbau weltweit.
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Die Ausrüstung
Die große Stückzahl gleicher Schiffe war günstige Voraussetzung für die Organisation stabiler Kooperationsverträge mit den meist zum Schiffbau gehörenden Zulieferanten. So wurde 1966 der Kooperationsverband „Atlantik“ mit 21 Zulieferbetrieben gegründet. Die meisten von Ihnen hatten auf der Werft ihre Stammmonteure, die die Aggregate und Ausrüstungen selbst montierten. Wie in dieser Zeit noch allgemein üblich, war lediglich der Rohrleitungsbau, vielfach mit Verzinkerei vollständig in die Werft integriert. Das hing einmal mit der Nähe der Rohrleitungen zur Geometrie des Schiffskörpers und zum anderen mit den schon erwähnten Maßungenauigkeiten des Schiffskörpers zusammen.
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Der Rohrleitungsbauer war auf der Werft derjenige, der normalerweise nach gelaufenen Kilometern bezahlt werden müsste. Es gehörte zum Bild einer Werft, den Rohrleger mit einem Rohrstück auf der Schulter zwischen Werkstatt und Schiff solange zu pendeln, bis das Pass-Rohr „passte“. Es war üblich, den Verlauf des Rohrstücks zuerst mit Hilfe eines Drahts an Bord festzulegen. Dann wurde das Rohrstück nach dem Draht verformt und zugeschnitten. Als Nächstes musste die Passgenauigkeit des zugeschnittenen und verformten Rohrs an Bord überprüft werden, bevor die Flansche, wieder in der Werkstatt, angebaut und geschweißt wurden. Dann ging das Rohrstück in die Verzinkerei, um anschließend endgültig eingebaut zu werden.
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Die zu verlegenden Rohrleitungsstücke wurden in drei Kategorien geteilt:
Erstens die Typ I Rohrstücke, die nach Standardmaßen meist industriell gefertigt werden, an beiden Enden fest verschweißte Flansche besitzen, konserviert und abgedrückt sind.
Zweitens die Typ II Rohre, die einzeln nach Konstruktionszeichnung oder Rohrstückliste in der Werkstatt zugeschnitten, verformt und lose beflanscht und unkonserviert an Bord angepasst und nachgearbeitet werden. Anschließend werden sie nummeriert , in die Verzinkerei gegeben und dann an Bord eingebaut.
Drittens schließlich die Typ III Rohre, deren Maße und Formen vom Rohrbauer an Bord nach Örtlichkeit aufgenommen werden und dann komplett in der Werkstatt zugeschnitten, verformt, beflanscht, nochmals an Bord angepasst, zur Verzinkerei gegeben und dann an Bord eingebaut werden. Mit Örtlichkeit ist gemeint unter Berücksichtigung der schon früher eingebauten Rohrleitungsstränge und Ausrüstungen. Nach dem Motto, „wer zuerst kommt, malt zuerst“, kann es sein, dass die zuerst verlegten Rohrleitungen den Verlauf der zuletzt zu verlegenden Rohrleitungen behindern.
Um diesen Missstand zu beseitigen war die Volkswerft führend bei der Entwicklung der sogenannten „Modellprojektierung“, bei der bestimmte Räume des Schiffes als dreidimensionales oder räumliches Modell angefertigt wurden und die fachspezifischen Konstrukteure den Standort ihrer Aggregate und den ( möglichst optimalen) Verlauf der dazu gehörenden Medien festlegen konnten. Natürlich in Absprache mit den übrigen fachspezifischen Konstrukteuren. Nach dem dann fertigen Modell wurden die Formen und Maße für die Fertigung abgenommen und in die Werkstätten gegeben. Die Abnahme der für die Fertigung erforderlichen Maße erfolgte in diesen sechziger Jahren mit Hilfe der Fotogrammmetrie, bei der der zu messende Punkt mit Hilfe zweier oder dreier Fotoapparate fotografisch erfasst wird. Mit Hilfe der dabei gewonnenen Raumkoordinaten können dann auf rechnerischem Wege Parameter wie Längen, Flächen und Volumina abgeleitet werden.
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Natürlich war die Volkswerft mit ihrer Großserienfertigung gegenüber den anderen Werften im Vorteil. Die Modelle konnten mehrfach verwendet und im Verlaufe der Serie ständig verbessert werden. Die nicht unbedeutenden Kosten für die Modelle konnten auf die Serie verteilt werden.
Die Modellprojektierung war dann auch die Voraussetzung für den Übergang von der Einzelaggregatmontage zur Blockmontage und damit zur rationellen Vorausrüstung der Ringvolumen. Auf diese Weise konnte auf der Werft bis zum Stapellauf ein Ausrüstungsgrad der Schiffe von bis zu 85% erreicht werden. Die Serienproduktion auf der Volkswerft bot natürlich die besten Voraussetzungen für diese neue Technologie. So konnten zuerst die funktionellen und später die regionalen Blöcke serienmäßig hergestellt werden.
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Zweite große Werfterweiterung 1969 -73
Das große Rationalisierungsprojekt
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Auf der Ostseemesse 1967 wurden neue Ziele für die Volkswerft vorgegeben. Beileibe keine geringen Ziele. In den regierenden Kreisen hatte man sich daran gewöhnt, dass die Leute der Volkswerft „Alles möglich“ machen und dass darauf Verlass ist. Deshalb war man mit der Übernahme von Aufträgen, insbesondere natürlich Aufträge von der UdSSR großzügig. So ganz nebenbei sollte die Devisenrentabilität erreicht, der Export gesteigert und die Subventionen schrittweise abgebaut werden. Die Ingenieure der Werft stellten sich der Aufgabe und schlugen zwei Wege ein. Zum ersten musste ein neues Erzeugnis her, das besser war als alle vorherigen. Das war die Geburtsstunde des „Atlantik Supertrawlers“. Zum zweiten wurde das „Großes Rationalisierungsvorhaben“ angestoßen.
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Beginnen wir mit einer persönlichen Geschichte, an der der Autor selber mitgewirkt hat.
Es ergab sich, dass der Generaldirektor des DDR-Schiffbaus, Gerhard Zimmermann, zum Minister für Schwermaschinen– und Anlagenbau nach Berlin berufen und der damalige Technische Direktor Alfred Dudszus neuer Generaldirektor wurde. Da gab es zwar Vorbehalte, weil Alfred Dudszus reiner Techniker mit ausgezeichneten Fähigkeiten war, aber angeblich von kaufmännischen Dingen so gut wie keine Ahnung hatte oder sie zugunsten seiner technischen Kreativität gerne ignorierte. Die beiden waren vorher ein gutes Gespann, Alfred Dudszus immer voller Ideen und Gerhard Zimmermann immer in Habachtstellung die Hand an der Realitätsbremse. So funktionierte moderate Innovation bei bescheidener Rentabilität.
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Jetzt, ohne Gerhard Zimmermann, lief der neue General unter eigener Regie, ohne Realitätsbremse, erst langsam und dann immer schneller werdend, zu innovativer Hochform auf. Sein erster Beschluss war die Bildung einer Hauptabteilung Forschung im Institut für Schiffbau und eines Ingenieurbetriebes, der Fertigungs- und Rationalisierungsmittel entwickeln und bauen sollte. Die inzwischen größer gewordene technologische Abteilung wurde aufgelöst und in die neuen Strukturen übernommen.
Ich (der Autor) entschied mich für die Hauptabteilung Forschung. Bevor wir uns ein Profil geben konnten, merkten wir, dass wir genaugenommen die Feuerwehr des Generaldirektor werden würden. Vier Dinge trafen zu dieser Zeit zusammen.
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Zum ersten war der neue General Techniker, unglaublich kreativ und wollte den Schiffbau voranbringen. Sein Intellekt und sein Wissen waren enorm, sodass er als gelernter Konstrukteur uns Fertigungsleuten Dampf machen konnte.
Zweitens war der politische Partner des Generals der Sekretär für Wirtschaft der SED Bezirksparteileitung Dr. Gerhard Buchführer, der promovierte Kaufmann. Der Wirtschaftssekretär war ebenfalls unglaublich kreativ und wollte den Schiffbau ebenfalls voranbringen.
Drittens war in den Fachzeitschriften über den Schiffbau nur noch die Rede von den sagenhaften vollautomatisierten Fabriken und Schiffswerften in Japan, wo doch ursprünglich der Sozialismus eigentlich die besseren gesellschaftlichen Bedingungen für die höchste Stufe der Entwicklung der Produktivkräfte haben sollte.
Viertens hatte der Walter Ulbricht, als sächsisches Urgestein, eine, keiner wusste warum, besondere Affinität zur Küste, zu Rostock
und ganz besonders zum Schiffbau.
Das Resultat des Zusammentreffens dieser vier Dinge war, dass ein Team von einhundertfünfundzwanzig gut qualifizierten Ingenieuren und Betriebswirtschaftlern auf dem ehemaligen Schnürboden der Volkswerft in Stralsund, einem Saal von geschätzten vierzig Meter Länge und fünfzehn Meter Breite, innerhalb eines knappen halben Jahres das komplette Konzept für den Umbau der Volkswerft zur ersten hoch automatisierten Werft in Europa entwickelte und auf den Tisch legte.
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Mit einer zehn Mann starken Gruppe, die die Ablauforganisation der neuen Werft auszuarbeiten hatte, war der Autor auch dabei. Ziel war es, die technologischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, jährlich vierundzwanzig Stück Fischereifahrzeuge des Typs „Atlantik– Supertrawler“ auszuliefern. Die Schiffe hatten eine Länge von 125 Metern und alles an Bord, was für den Fang, die Verarbeitung und den Transport des gefangenen Fisches und seiner Bestandteile bis zur Konservendose und zum Fischmehlsack erforderlich war.
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Die Doppelbodensektionen werden von Takt zu Takt weiter transportiert. Hier
eine Drehvorrichtung zum wenden der Sektion in die Aussenhautschale

Die großen vorausgerüsteten Ringvolumensektionen können nun mit dem Kran transportiert werdn
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Das Projekt sah vor, die Schiffe im Zweiwochenrhythmus in getakteter Fließfertigung zu bauen und auszuliefern. Dazu wurden die Schiffsrümpfe, beziehungsweise deren Teile, von Takt zu Takt auf einem Schienensystem sowohl längs als auch quer von Takt zu Takt verfahren und erreichten einen immer größeren Fertigungsfortschritt. Wenn die Schiffe quasi vollständig ausgerüstet waren, wurden sie über eine Absenkanlage zu Wasser gelassen. Vorgeschaltet waren eine fast voll automatisierte Teilefertigung mit jetzt numerisch gesteuerten Plasmabrennschneidautomaten, Fertigungs- bzw. Fließstraßen für die Flachsektions- Doppelboden- und Großsektionsfertigung mit hohem Automatisierungsgrad besonders bei den Transport-, Positionierungs- und Schweißprozessen.
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Das war eine durchaus bahnbrechende neue Technologie, die für diese Schiffsgröße einmalig in der Welt war. Der Vorteil für eine Organisation dieser Fertigung war, dass regelmäßig alle zwei Wochen jeder Arbeitsschritt an jedem Arbeitsplatz wiederkehrte, eine Übertragung der Organisationsmethoden des klassischen Automobilbaus auf den Schiffbau, das hatte es für den zivilen Schiffbau noch nicht gegeben.
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Die Werft nach der großen Rationalisierung 1969-73. Im Vordergrund die Absenkanlage mit Längs- und Querverschiebegleissystem.
Man sieht deutlich die Kielblockträger mit den drehbaren Radsätzen zum Längs- ind Quertransport der Schiffe.
In der Mitte die Endmontageplätze für drei Schiffe, in der Mitte hinten die neuen Hallen für die Endmontage,
dahinter der neue Zwischenbau und die alten Schiffbauhallen.
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Die Leute vom Ingenieurbüro entwickelten weitgehend automatisierte Fertigungslinien für die Bearbeitung und für den Zusammenbau einzelner Schiffsteile, so zum Beispiel Schweißanlagen zum automatischen einseitigen Schweißen von großen Flächen, Profilaufsetz-Automaten, durch die die Versteifungsprofile wie Spanten und Deckbalken automatisch aus einer Palette entnommen, in der richtigen Lage auf die großen Flächen gesetzt und automatisch verschweißt wurden. Erstmals wurden CO2-Schweißautomaten (Portale) entwickelt, die vier Kehlnähte zur gleichen Zeit in senkrechter Position schweißen konnten.
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Zunehmend wurden Bauingenieure und Architekten in das Team integriert, die die baulichen Hüllen der neuen Technologie zu entwerfen und zu projektieren hatten. Die Gesamtkosten des Vorhabens waren auf 140 Mill. Mark veranschlagt. Aber woher das Geld nehmen. Für das viele, sehr viele notwendige Geld mussten die richtigen Stellen mobilisiert werden.
Der Generaldirektor und der Wirtschaftssekretär bereiteten das auch generalstabsmäßig vor. Die Ostseewoche fand jedes Jahr Anfang Juli statt und war verbunden mit einer Messe, auf der Industrie, Landwirtschaft sowie Seeverkehr und Hafenwirtschaft des Küstenbezirks ihre Leistungen und Produkte präsentierten. Weil er diese besondere Beziehung zur Küste hatte, war, wie in jedem Jahr, auch dieses Mal ein Besuch Walter Ulbrichts zur Messe vorgesehen. Das war Gelegenheit, an oberster Stelle die Notwendigkeit und Richtigkeit des „Großen Rationalisierungsvorhabens“ in Stralsund vorzustellen.
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Doch wie?
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Das Projekt brauchte natürlich eine angemessene Realisierungsfrist, die neuartigen Technologien wollten teilweise erst verfahrenstechnisch entwickelt werden, die zur Realisierung erforderlichen Maschinen und Anlagen sollten konstruiert, berechnet und gebaut werden, die großen baulichen Veränderungen, die große Schiffbauhalle, musste bei vollem Produktionsbetrieb errichtet werden, Transportmittel für schwere Schiffsteile mussten bestellt, gebaut und geliefert werden. Und Geld war nötig, viel Geld, sehr viel Geld.
Der Wirtschaftssekretär Gerhard Buchführer hatte die Idee, ein Funktionsmodell von der neuen Stralsunder Werft zu bauen und dem Genossen Ulbricht vorzuführen. Er hatte viel übrig für Visualisierung, denn schon Jahre vorher, als er noch an der Ingenieurhochschule für Schiffstechnik in Warnemünde, übrigens während der Studienzeit des Autors, Betriebswirtschaft gelehrt hatte und gleichzeitig stell- vertretender Direktor war. Für experimentelle Zwecke hatte er einmal ein riesiges Modell von der Warnowwerft bauen lassen, das auf dem Spitzboden der Hochschule vor sich hin staubte und immer noch auf das erste Experiment wartet. Nun sollte es ein Modell für die neue Volkswerft sein, weniger zum Experimentieren, als vielmehr zur Weckung der Begeisterung des obersten Genossen der Republik.
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An der Idee eines Wirtschaftssekretärs konnten wir nicht so einfach vorbei, zumal, wie in diesem Falle das Zweigespann Generaldirektor und Wirtschaftssekretär an einem Strang in eine Richtung zogen und Tempo machten.
Dr. Wolfgang Lerche, der Leiter des Stralsunder Projekt und designierter Leiter der in Gründung befindlichen neuen Hauptabteilung Technologie in unserem Institut, bekam den Auftrag, den Bau des Modells zu organisieren. Ihm stand dafür das neu gegründete Ingenieurbüro mit ungefähr fünfzig hochqualifizierten Facharbeitern und Ingenieuren aller Metall- und Elektrobranche und mit universeller technischer Ausrüstung zur Verfügung. Franz Lerche, nicht mit Wolfgang verwandt, damaliger Chef des Ingenieurbüros machte gute
Miene.
Irgendwie erinnerten sich die beiden Lerches, dass der Autor ein guter Maler ist und das Projekt in Stralsund von Anfang an mit gestaltet hatte. Sie beauftragten ihn, ein Bild von dem Modell zu malen. Einzige Vorgabe war die für das Modell verfügbare Ausstellungsfläche in der Messehalle, fünfunddreißig Meter lang und sechs Meter breit, brutto. Mit einer ehrlichen Skepsis wurde nun gemalt. Bei der Arbeit legte sich die Skepsis, im Gegenteil, fing das Ganze an, interessant zu werden und zur Höchstform herauszufordern.
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Die anfänglichen Bedenken legten sich auch deshalb, weil die eigentlich Betroffenen, die Leute vom Ingenieurbüro, die das Modell bauen sollten, also die tatsächliche Arbeit damit hatten, bei meinen ersten Vorschlägen nicht mal mit der Wimper zuckten. Der Entwurf des Modells war eine perspektivische Handskizze mit schwarzer Tusche auf weißem Zeichenkarton, sie diente zur Diskussion technischer Details mit den Leuten aus dem Ingenieurbüro und war etwa sechzig mal zwanzig Zentimeter groß.
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Nach Klärung nicht aller, aber vieler Einzelheiten, wurde eine maßstäbliche Zeichnung des Modells in drei Ansichten mit vielen Querschnitten angefer-
tigt.
Eines Tages war das Modell fertig und wurde von den Messebesuchern bestaunt und von den Fachleuten der übrigen Werften argwöhnisch belächelt. Walter Ulbricht gehörte zu den Messebesuchern und hatte zwei sprachgewandte Führer, den Generaldirektor und den Wirtschaftssekretär.
Wir hatten keine Zeit zu staunen, wir drückten im Hintergrund die Daumen, dass das Modell auch im richtigen Moment funktionierte, dass sich die Kräne bewegten, dass die Platten rollten und dass sich das fertige Schiffsmodell aus der Modellhalle in Bewegung setzte.

In der neuen 148 m langen zweischiffigen Schiffbauhalle werden parallel zwei Schiffe aus vorgefertigten Ringvolumensektionen zusammen gebaut.
Dazu mussten eine Menge bunter Lampen im richtigen Moment an oder ausgehen, damit sich das Herz des Besuchers erfreut. Der Genosse Ulbricht war auch ein Besucher, dem das Herz aufging. Er ließ sich begeistern und hat sicher ein wichtiges Signal dafür gegeben, dass das Projekt Realität wurde.
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Das Gesamtprojekt wurde bis 1974 auf den Punkt realisiert. Äußerliches Kernstück der neuen Werft war eine 148 Meter lange, 80 Meter Breite und 32 Meter hohe Schiffbauhalle, in der die Schiffe vollausgerüstet „unter dem Dach“ gebaut werden konnten.
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Das Projekt Stralsund war damals für die Beteiligten, auch für den Autor, der Beweis dafür, dass die neue Gesellschaft durch zentrale Planung und Steuerung bei engagierter und fachkompetenter Führung eine Menge leisten kann. Es war dabei bei weitem nicht so, dass die Partei vorschrieb, was zu tun ist. Vielmehr hat die Wirtschaft die Partei vor ihre Projekte gespannt und den Funktionären, so sie es brauchten, entspannt den Ruhm überlassen.
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Inzwischen waren Projektingenieure wieder im Institut für Schiffbau angekommen. Aus der Erfahrung der Großprojekte heraus, wurde nun eine starke Hauptabteilung Technologie gegründet, in der auch eine Abteilung für Produktionsablaufsteuerung etabliert war. Der Kern dieser Abteilung war das Team aus dem Stralsunder Projekt, das die Ablauforganisation für die neue Werft ausgearbeitet und programmiert hatte. Dieser Kern wurde um ein paar junge Diplom-Ingenieure und einen Diplom–Mathematiker aufgestockt.
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Die Leitung der Abteilung wurde einem promovierten Schiffbauer, dem damals sehr verehrten Dr. Horst Darowski, übertragen. Dr. Darowski hatte an der Sektion Schiffstechnik der Universität Rostock auf dem Gebiet der Produktionssteuerung seine Doktorarbeit geschrieben und war einige Jahre als Abteilungsleiter hauptamtlich in der Bezirksparteileitung, sozusagen als Experte für Produktion, tätig, wollte aber auf eigenen Wunsch wieder in den Schiffbau zurück. Fachliche und soziale Kompetenz, klare Zielstellung und bedingungslose Forderung von Leistung war eine Symbiose, die Allen damals als beispielhafte „sozialistische Leitung“ vorschwebte.
Während in Stralsund so etwas wie die Ablauforganisation einer getaktete Fließfertigung entwickelt worden war, machte sich das neue Team nun daran, den ganz normalen Ablauf im Schiffbau, ohne die ideale Serienfertigung, zu modellieren, was wesentlich komplizierter war.
Zu dieser Zeit war in der „West–Literatur“ gerade die sogenannte Netzplanmethode ins Gespräch gekommen. Der Begriff Operation Research war in aller Mathematiker Munde, der richtige DDR Bürger bediente sich des Begriffs „Organisationswissenschaft“, was ja auch der Sache am nächsten kam. Es ist heute nicht viel anders, nur dass der neue Begriff KI oder künstliche Intelligenz fast ausschließlich von gut besoldeten Politikern verwendet wird, die ja nun überhaupt keine Ahnung davon haben, worüber sie reden.
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Die Netzplanmethode, theoretisch aus der Graphentheorie hergeleitet, war hervorragend zur Abbildung des komplexen Montageprozesses im Schiffbau geeignet. Verschiedene Gewerke sollen bestimmte Arbeiten nebeneinander oder in vorgegebener Reihenfolge nacheinander ausführen und dabei einen möglichst frühen Fertigstellungstermin erreichen. Um die Komplexität zu verdeutlichen, muss man sich vorstellen, dass für die Montage eines Schiffes Netzpläne mit bis zu eintausendfünfhundert Arbeitsvorgängen, auch Aktivitäten genannt, bearbeitet werden mussten, die von bis zu vierzig verschiedenen Gewerken ausgeführt werden sollten. Für jeden Arbeitsvorgang oder für jede Aktivität sollte ein frühest möglicher und ein spätest erlaubter Anfangs– und Endtermin berechnet werden. Zwischen den frühest-möglichen und spätest-erlaubten Terminen sollten die Meister ihre Leute so einsetzen, dass keine Verlustzeiten entstehen, oder, wie es auch genannt wurde, eine ausgeglichene Belastung der Kapazitäten erreicht werden konnte. Der Begriff der Belastungs- Ausgleichsplanung wurde damals weltweit zuerst im DDR Schiffbau geprägt und auch zuerst funktionierenden Programme dafür entwi-
ckelt.

Noch einmal die Werft nach der großen Rationalisierung: In der Mitte die große Emdmontagehalle und dahinter die alten Sektionsbauhallen mit dem neuen Zwischenbau. Im Vordergrund die drei Zuschnitt- und die Umformungshallen mit Sortierlager, links unten die Profil-
und Plattenvorbehandlung mit Platten- und Profillager.
Aber nicht nur das. Da ja auf einer Werft nicht nur ein Schiff, sondern mehrere Schiffe gleichzeitig gebaut werden, war der nächste Schritt die Entwicklung von Mehrprojekt– Belastungs-Ausgleichs -Planungsmodellen. Dazu mussten die Netzpläne von allen zur gleichen Zeit zu bauenden Schiffen gekoppelt und berechnet werden, weil ja die verschiedenen Gewerke nicht nur auf einem, sondern auf allen Schiffen tätig sein sollten.
Das Manko der Geschichte bestand allerdings darin, dass die damals zur Verfügung stehenden Rechenmaschinen Tage brauchten, um die benötigten Daten zu berechnen. Damit war natürlich der praktische Nutzen der Angelegenheit auf die Zeit besserer Rechentechnik in damals noch nicht absehbare Ferne gerückt.
Heute gibt es diese Multiprojektmanagement- Programme für jeden Laptop für wenig Geld im Media Markt.
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Man muss sich das vorstellen: In der Zeit vom Aufbau der Werft 1948 bis zum „Ende der Volkswerft“ 1992 wurden mit den sparsamen Anlagen insgesamt 1.521 Schiffe mit einer Gesamttonnage von 2,2 Mill BRT gebaut und abgeliefert. Das sind im Schnitt 35 Schiffe pro Jahr. (Strobel, Dame: Schiffbau zwischen Elbe und Oder; Koehler, 1993). Mitte der 1970er Jahre gilt die Volkswerft als modernste Werft in der DDR. Zwischen 1975 und 1989 belegen die Stralsunder (gemessen an der Tonnage) neun Mal den ersten Platz unter allen Werften weltweit, die Fischereischiffe bauen. Ihr Tonnage-Anteil an der Weltproduktion dieser Schiffe steigt bis auf 33 Prozent.
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Dritte große Werfterweiterung 1979/ 80
Das Stapellaufdock
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Das bis 1986 größte Schiff mit einer Länge von 102 m und einer Breite von 15,2 m konnte gerade noch mit der Absenkanlage ins Wasser gebracht werden. Für einen Auftrag zum Bau von 37 Stück eines noch größeren Fabriktrawlers („Atlantik 488“) mit einer Länge von 120,7 m musste für das Zuwasserbringen eine neue Lösung gefunden werden. Die vorhandene Absenkanlage war mit 100 m Länge zu klein für diese Schiffe. Die Ingenieure schufen eine bis dahin durchaus noch nicht übliche Lösung.
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Die Absenkanlage war mit 100 m Länge zu klein für den Atlantik 488 (120 m). Mit dem Stapellaufdock wurde eine bis dahin weltweit neuartige Lösung gefunden.
(1=Stapellaufdock, 2=Dockponton, 3=Überfahrträger, 4=Schiffbaugleise)
Der erste Fabriktrawler MOONZUND beim Einfahren in das Stapdlaufdock.
30. Apri 1985.

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Mit den Vorbereitungen zum Investitionsvorhaben »Fabriktrawler-Stapellaufdock« wurde im Februar 1982 begonnen. Die bauvorbereitenden Maßnahmen umfassten: Aufschüttungen, Erschließungsarbeiten, Ersatzbauten für abzureißende Gebäude. An land- und wasserseitigen Anlagen waren zu schaffen: Kaianlagen, Dockfundamente, Dalben und Verlängerung der Schiffbaugleise. Zur Einrichtung des Stapellaufdocks, einem ehemaligen Schwimmdock der Warnow-Werft, und dem Landtransport gehörten insbesondere: Stützkonstruktionen am Dockturmende als Fundamentauflage, das Anpassen der Energieversorgung, der Anbau von Dockschlössern zur Befestigung an den jeweiligen Dalben, der Dockponton, die Überfahrträger, hydraulische Ausrichteinheiten, die Schub-Zug-Einheiten (SZE) und die Helling Krane.
Gemeinsam mit dem Stammbetrieb des Kombinates Schiffbau Rostock und dem Bau- und Montagekombinat Stralsund verwirklichte die Volkswerft dieses Vorhaben zum Verschieben der 3.200 Tonnen schweren Schiffskörper. Die hydraulisch arbeitenden SZE konnten auf den vorhandenen Bau- und Querverschiebegleisen fahren und das auf Stapelwagen ruhende Schiff sowohl längs als auch quer bewegen. Die SZE klemmten sich während des Transportvorganges an den Schienen fest und schoben bzw. zogen den auf dem Stapelwagenverband ruhenden Schiffskörper mittels Hydraulikmotor jeweils drei Meter. Nach solch einem Taktvorgang lösten sich die Klemmvorrichtungen, die SZE zogen sich an den Stapelwagen heran, und der Vorgang begann von neuem. Ein schrittweiser Schiffstransport. Mit einer effektiven Geschwindigkeit von drei Metern je Minute wurde der Schiffskörper in das Stapellaufdock geschoben.
Das Schwimmdock, ursprünglich nicht so ausgelegt, wurde umgebaut, damit die an den Lagerflächen auftretenden Kräfte in den Festigkeitsverband des Docks eingeleitet werden konnten. Den Höhenunterschied zwischen Helling und Dockstapeldeck glich ein Dockponton aus, auf dem sich auch die Schienen für die Stapelwagen befanden. Zwei Überfahrträger verbanden Helling und Dock. Eine Neuheit gegenüber bekannten Dockanlagen für Stapelläufe war ein rechnergestütztes Lenz- und Flutsystem, welches die Belastung des Docks und der Fundamente bei den Auffahrt-Takten regelte. Lag das Schiff auf Position im Dock, sicherte man die Stapelwagen gegen Abrollen und lenzte das Dock, bis es aufschwamm.
Danach schwenkten zwei Schlepper das Dock um einen Dalben über eine Dockgrube. Nach dem Fluten des Docks verholten Schlepper den Stapelläufer zum Ausrüstungskai. Alles musste auf Anhieb klappen. Eine Generalprobe unter Last war nicht möglich. Umfangreiche Berechnungen grenzten das Risiko ein. Die neue Stapellaufanlage der Stralsunder Volkswerft war so dimensioniert, dass die fertigen und dann an die 5200 Tonnen schweren Schiffe sogar zur Reparatur wieder an Land geholt werden konnten.
Diese weltstandbestimmende, international neuartige und mit Patenten abgesicherte Technologie bewährte sich auf Anhieb beim ersten Stapellauf des Fabriktrawlers am 30. April 1985. Besondere Verdienste erwarben sich hierbei Themenleiter Helmut Heidenreich, Manfred Demmin, Dr. Heinrich Ratzke und Klaus Wichmann. Wer kennt sie heute noch.
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Die „Rationalisierer“: Dr. Joachim Knebel; Manfred Demmin; Dr. Karl Dittmann
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Zusammenfassend soll an dieser Stelle den Schiffbauern, Schweißern, Ingenieuren und Organisatoren der „alten“ Volkswerft unsere Hochachtung für die Kreativität und das Engagement entgegengebracht werden, mit dem sie mit sparsamsten Mitteln und rationellsten Lösungen und großem persönlichen Einsatz alle nicht einfachen Aufträge erfolgreich erfüllt haben. Die Geschichte der Volkswerft von 1948 bis 1990 ist auch der Beweis dafür, dass auch ohne Privatwirtschaft und mit Planwirtschaft revolutionärer Technologiefortschritt erreicht werden kann. Im Gegensatz zur heutigen Wirtschaft waren in dieser Zeit hervorragend ausgebildete und praxiserfahrene Fachleute in den führenden Positionen tätig, die natürlich auch überzeugt davon waren, dass das Wirtschaftssystem für das sie arbeiten, bei allen Problemen, die auch in anderen Systemen zu Hauff bestehen, letztendlich das bessere ist. Die Versuche der damals westdeutschen Berater und „Fachleute“, die Leistungen, auch die der Volkswerft, kleinzureden und mit ihren ökonomischen Formeln die Produktivität des Ostens pauschal und im konkreten Fall der Volkswerft zu diskreditieren haben zu katastrophalen Folgen für den Osten und konkret für die Volkswerft geführt.
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Wenn wir heute, mehr als 30 Jahre nach dem Ende der „alten“ Volkswerft die von Juristen, Ex-Bankern und, wenn es hoch kommt, Betriebswirten geführte Wirtschaft von einer Insolvenz zur nächsten Übernahme schlittern sehen, der Staat Unsummen ausgeben muss, um die soziale Sicherheit der nicht mehr gebrauchten ,zum großen Teil hochqualifizierten Mitarbeiter zu gewährleisten und Investitionen nur noch getätigt werden, wenn der Staat (der Steuerzahler) die Hälfte der Kosten spendiert, dann erinnert man sich gerne an die Zeiten, als Fachkompetenz, Kreativität, Sparsamkeit und Fleiß noch selbstverständliche Tugenden und in der Achtung ganz oben angesiedelt waren.
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Letzte Werfterweiterung und Untergang
Das traurige Ende der Geschichte der Volkswerft Stralsund
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Wir befinden uns immer noch im Kapitel Schiffbau der Nachkriegszeit bis in die sechziger Jahre. Damit fällt die letzte Werfterweiterung ins nächste Kapitels des Buches. Dazu muss angemerkt werden, dass die Erneuerung der Stralsunder Werft für die horrende Summe von 637 Mill. DM bereits in die Zeit des restlosen Niedergangs des Schiffbaus in Deutschland und Europa fällt. Dafür wurde die Neubaukapazität von der EU von 183.000 cGT 1990 auf 85.000 cGT nach Erneuerung gekürzt.
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Schick sieht sie aus, die Kompaktwerft, die Werft, bei der die Firmenschilder am häufigsten gewechselt wurden und in der keine Schiffe mehr gebaut werden
An dieser Stelle nur ein kurzer Abriss, wie es mit der einmal weltweit führenden Schiffswerft für Fischereifahrzeuge weiter ging.
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1948 bis 1990: Selbständiger Volkseigener Betrieb im Verbund der VVB Schiffbau/ des VEB Kombinat Schiffbau (42 Jahre)
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1990 bis 1993: Deutsche Maschinen- und Schiffbau AG Rostock unter Treuhandverwaltung
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1993 bis 1997: Bremer Vulkan (4 Jahre)
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1998 bis 2007: A. P. Møller-Mærsk (9 Jahre)
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2007 bis 2010: Hegemann-Gruppe (3 Jahre)
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2010 bis 2014: P+S-Werften (4 Jahre)
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2014 bis 2016: Nordic Yards (2 Jahre)
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2016 bis 2022: MV Werften (6 Jahre)
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Seit 2022: Maritimer Industrie- und Gewerbepark Volkswerft
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Die Zahl der Beschäftigten entwickelte sich analog der Produktionskapazität stetig. Waren es im Jahr 1945 noch 162, stieg diese Zahl schon im Jahr 1948 auf 1462 an. Im Jahr 1984 waren 8406 Menschen auf der Volkswerft beschäftigt. Die Volkswerft war somit der größte und bedeutendste Betrieb in Stralsund.
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„Die Volkswerft hatte sich über die Jahre bis 1990 zum schlagenden Herzen Stralsunds entwickelt. Die Hammerschläge der Beuler und das Dröhnen beim Entladen von Stahlplatten waren besonders in der Spätschicht weithin über die Dächer der Stadt zu hören. Allein durch die Anzahl der beschäftigten Stralsunder und aus der Umgebung begegnete man dem großen Interesse an der Werft in der breiten Öffentlichkeit.“
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Nach der sogenannten Wende, besser nach der Übernahme durch den nun „gesamtdeutschen“ Finanzminister bzw. seine Treuhandanstalt, reduzierten sich die Beschäftigtenzahlen drastisch. Durch Ausgliederungen von Gewerken und Entlassungen sank die Beschäftigtenzahl bis zum Jahr 1998 auf 1236. Nach der Insolvenz der P+S-Gruppe gingen im November 2013 750 Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit, etwa 200 Mitarbeiter waren zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigt. Im August 2018 waren unter den MV Werften in Stralsund wieder 515, und zuletzt etwa 600 Mitarbeiter beschäftigt. Die Stadt Stralsund als Betreiber zählte im Juni 2023 etwa 250 Mitarbeiter als Stammpersonal und weitere etwa 100 bei den verschiedenen Unternehmen des Gewerbeparks.
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Betrachten wir die Produktivität nach der letzten Erweiterung der nun „Kompaktwerft“ genannten Werft, stellen wir einen permanenten Niedergang fest. Nach einem relativ guten Start mit diversen Containerschiffen nahm der Ausstoß von Jahr zu Jahr ab und kam um 2016 völlig zum Erliegen. Die Zeit, in der in fast jeder Stralsunder Familie mindestens ein Mitglied auf der Werft beschäftigt war, als die Söhne der Väter Schiffbauer wurden, war endgültig vorbei. Interessant ist dagegen, was die Stralsunder jetzt machen. Im Ranking der wichtigsten Arbeitgeber in Stralsund belegt nun die „Restwerft“ den 7. Platz mit 250 Mitarbeitern.
Auf den ersten Plätzen rangieren die Helios Hanseklinikum Stralsund mit 1.500 Mitarbeitern, gefolgt von der Deutsche Rentenversicherung mit 1.400 Mitarbeiter , der Landkreisverwaltung Vorpommern-Rügen, mit 1.360 Beamten und Angestellten, die Stadtverwaltung Stralsund mit 600 Mitarbeitern und die Stadtwerke mit 300 Mitarbeitern. Es folgen auf dem sechsten und siebenten Platz die Majorel Stralsund GmbH, ein Callcenter mit 300 Mitarbeitern und mit 250 Mitarbeiter ein kommunales Beschäftigungsunternehmen, bevor mit dem „Maritimen Industrie- und Gewerbepark Volkswerft“ das erste Produktionsunternehmen rangiert. Danach folgen auf Rang neun und zehn die Arbeiterwohlfahrt mir 200 und die Volksbank mit 130 Mitarbeitern. Man fragt sich, wo die Werte geschaffen werden, von denen wir leben.
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Mit dieser Entwicklung wurde der Hansestadt Stralsund nicht nur die junge Tradition geraubt sondern ihr den Lebensnerv gezogen. Glücklicherweise hat sich, lange nach dem „Aus“, eine kleine Gruppe alter „Werftler“ im Verein Volkswerft e.V. zusammengefunden
um die Geschichte wach zu halten, zu erfahren unter www.volkswerft.de.
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An dieser Stelle soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass das Ziel dieses Buches nicht darin besteht, die Schiffe der Zeit zu beschreiben, sondern darin, die Art und Weise des Baus zu analysieren und ins Gedächtnis zurück zu holen. Der Autor hat im Verlaufe seines Schiffbauerlebens immer bedauert, dass in allen Quellen die berühmten Kapitäne, notfalls die Konstrukteure aber fast nie die Schiffbauer, die im Schweisse ihres Angesichts die wunderbaren Produkte gebaut haben, genannt werden. Es ist die Geschichte vom Bau von Schiffen auf der Volkswerft, aufgeschrieben von Dabeigewesenen. Diese großartige Geschichte lässt sich nicht reduzieren auf "Schiffbau auf Befehl", wie es einige Nichtdabeigewesene, selbst ernannte Historiker sehen.
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Die vier Ausbaustufen



Erste Ausbaustufe ab 1948
Zweite Ausbaustufe ab 1957/58
Dritte Ausbaustufe ab 1960/63
Vierte Ausbaustufe ab 1979/80


Letzte Ausbaustufe ab 1993
Quellen:
1) STROBEL; ORTLIEB: Volkswerft Stralsund, Koehler Hamburg 1998. Strobel; Ortlieb: Volkswerft Stralsund, Koehler Hamburg 1998.
2) (wikipedia.org/wiki/Volkswerft_Stralsund)
4) STROBEL, DAME: Schiffbau zwischen Elbe und Oder; Koehler, 1993)
5) www.volkswerft.de/Chronik 1961-1969
6) H. S. NOEL in der Fachzeitschrift „World Fishing“ 1968
7) DORMIDONTOW, Technologie des Schiffbaus, Fachbuchverlag Leipzig,1954, S.282 ff,Originalausgabe 1949, Verlag Sudopromgis, Leningrad
8) www.ndr.de/nachrichten/aktuell-team/jochenlambernd100.html
9) SCHAFFER REINHARD, Zur Theorie der zeitlichenSteuerung von Fertigungsprozessen im Schiffbau, Schiffbauforschung,3/1982
10)SCHAFFER REINHARD, Zur flexiblen Automatisierung der Teilefertigung im Schiffbau, Wissenschaftliche Beiträge der Ingenieurhochschule Warnemünde/Wustrow, 2/1987
11)SCHAFFER REINHARD Eigene Aufzeichnungen des Autors
12) Fotos zumeist von Harry Hardenberg aus "Volkswerft - Ein Bildbandüber den VEB Volkswerft Stralsund" Herausgeber : Leitung der Volkswerft 1975
13) Layout: Autor